Pro und Kontra zum BGH-Urteil
Muss "Kundin" sein - oder reicht "Kunde"?
Der Bundesgerichtshof hat das Gesuch der Sparkassen-Kundin Marlies Krämer nach mehr Gleichberechtigung in der Sprache abgelehnt. Die 80-jährige Saarländerin wollte durchsetzen, in den Formularen der Bank als Kundin angesprochen zu werden. Auf den Vordrucken stehen dort nur männliche Formulierungen wie "Kunde" oder "Kontoinhaber". Hat das Gericht richtig entschieden?
Kontra
Frauke Böger
Gleichberechtigung beginnt bei ein paar Buchstaben
Ja, die Debatte nervt - und zwar alle. Die, die davon ausgehen, dass Gleichberechtigung selbstverständlich sein sollte. Und die, denen das schlicht zu anstrengend ist.
Trotzdem ist das Urteil des Bundesgerichtshofes falsch.
Denn mehr, als dass es ein bisschen Nachdenken erfordert und die Sparkassen Geld kostet, kann man ja nicht gegen die Forderung haben, dass Frauen als Kundinnen auch erwähnt werden.
Es nervt, dass sich auch heute noch die höchsten Gerichte mit einer Frage befassen müssen, bei der jeder mit ein bisschen Gerechtigkeitsempfinden sagen sollte: Ja, da muss man mal was machen.
Müssen Formulare nicht sowieso dann und wann angepasst werden? Vielleicht hätte es ja eine pragmatische Lösung gegeben: Wenn drei Änderungen erforderlich geworden sind, nehmen wir die Kundinnen auch noch mit rein. Oder so.
Stattdessen war jetzt der BGH damit befasst, und als Nächstes darf sich dann das Verfassungsgericht mit dieser Frage beschäftigen, wie es aussieht. Gibt es nichts Wichtigeres? Doch, gibt es bestimmt, aber solange es noch nicht selbstverständlich ist, dass Frauen gesehen und genannt werden, wird es immer wieder solche Fälle vor Gericht geben. Damit sich das ändert, müssten die Sparkassen eben von allein das Richtige tun.
Vielen ist es vermutlich egal, ob da Kunde oder Kundin oder beides steht, aber das ist es eben nicht. Sieht man ja schon an der Aufregung jetzt. Gleichberechtigung beginnt im Kleinen - wie eben ein paar Buchstaben mehr auf einem Formular. "Sprache ist der Schlüssel zur Gleichberechtigung", sagt Marlies Krämer, die geklagt hatte. Und da ist sie ja nicht die Erste. Es ist wirklich schade, dass sich immer noch so viele Menschen dagegen wehren, bei dem Thema mal kurz mitzudenken.
Das Landgericht Saarbrücken hatte die Umformulierung abgelehnt, weil schwierige Texte durch die Nennung beider Geschlechter nur noch komplizierter würden. Das ist fast schon lustig, so absurd ist es. "Wie, Frauen dürfen das auch? Verstehe ich nicht. Dann lasse ich das lieber mit dem Darlehen." Stellt sich das Gericht etwa so die Reaktion von Bankkunden vor, wenn der Kunde (oder die Kundin) ein Formular mit zwei Geschlechtern vor sich hat? Irgendwie süß.
Damit alle weniger genervt sein können, hilft es eben nur, Gleichberechtigung zum Normalfall zu machen. Denn Frauen wie Marlies Krämer, die einfach nicht lockerlassen, wird es hoffentlich immer wieder geben.
Und jetzt zum Wetter - das dank Marlies Krämer auch weibliche Hochs kennt.
Pro
Kristin Haug
Ich muss nicht "Kundin" genannt werden
Mich nerven die Debatten um die gegenderte Sprache. Mich nervt das Binnen-I. Mich nervt es, "Studierende" anstatt "Studenten" zu schreiben. Und eine geschlechtsneutrale Nationalhymne? Bitte nicht!
Deshalb finde ich es auch richtig, dass der Bundesgerichtshof dagegen entschieden hat, dass die Sparkasse in Formularen das Wort "Kundinnen" verwenden muss.
Mich nerven derartige Diskussionen, weil hier Zeit, Energie und Geld verschwendet wird, die man gut anderswo gebrauchen könnte. Zum Beispiel wurde das Studentenwerk in Baden-Württemberg vor vier Jahren in Studierendenwerk umbenannt. Gekostet hat das mehrere Hunderttausend Euro. In Berlin hat die Umbenennung des Studentenwerks vor zwei Jahren 800.000 Euro verschlungen. Dieses Geld hätte man auch für die Sanierung von Hörsälen oder zusätzliche Übungen verwenden können.
Außerdem: Ändern wir all diese Formulierungen, was machen wir dann mit den Menschen in unserer Gesellschaft, die sich zu keinem Geschlecht bekennen wollen oder intersexuell sind, biologisch also weder eindeutig Mann oder Frau? Werden sie in zehn Jahren ähnliches verlangen und müsste man sie dann als Kundex und Studenten als Studex bezeichnen?
Marlies Krämer sagt, Sprache sei der "Schlüssel zur Gleichberechtigung". Ich finde, der Schlüssel zur Gleichberechtigung liegt ganz woanders. Ich fühle mich auf Formularen angesprochen, wenn da "Kunde" steht. Ich fühle mich als "Arbeitnehmer" ebenso angesprochen wie als "Patient" oder "Mitglied". Ich muss nicht "Arbeitnehmerin", "Patientin" oder etwa "Mitgliedin" genannt werden.
Die Probleme liegen doch ganz woanders. Warum unterhalten wir uns über Formulierungen auf Formularen, wenn Frauen laut Statistischem Bundesamt noch immer durchschnittlich sechs Prozent weniger Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten als Männer? Die ZDF-Journalistin Birte Meier zog deswegen ebenso vor Gericht wie Schreinermeisterin Edeltraud Walla. Beide verloren den Rechtsstreit, Walla sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Anstatt ihre Zeit damit zu verschwenden, Formulierungen zu hinterfragen, sollten sich Männer und Frauen für einen Wandel in der Gesellschaft einsetzen. Es gibt noch immer zu wenige Frauen in Führungspositionen. Es nehmen noch immer zu wenig Männer mehr als zwei Monate Elternzeit. Noch immer gibt es Frauen, die ihre Stellen verlieren, weil sie Kinder bekommen oder großziehen müssen. Noch immer arbeiten mehr Mütter als Väter in Teilzeit. Noch immer studieren zu wenige Frauen MINT-Fächer. Noch immer gibt es T-Shirts für Mädchen mit Herzchen und Pferden und T-Shirts für Jungs mit Autos und Fahrrädern darauf. Es gibt auch noch immer Eltern, die ihren Söhnen mehr Taschengeld geben als ihren Töchtern.
Die Gesellschaft ändert sich nicht, wenn auf Formularen plötzlich von Kundinnen die Rede ist - die Gesellschaft verändert sich, wenn Geschlechterklischees nicht mehr bedient werden, wenn Frauen ernst genommen und gleich bezahlt werden - und wenn sich mehr Männer trauen, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können.