Widerstand gegen #MeToo
Nichts ist erledigt
"These things always blow over", sagte Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat am vergangenen Sonnabend; Dinge wie diese gehen immer vorbei. Gemeint hatte der 76-Jährige die Auseinandersetzung um die Nominierung des Richters Brett Kavanaugh für den Supreme Court. Ihm werden von mehreren Frauen sexuelle Misshandlungen bis hin zu versuchter Vergewaltigung vorgeworfen. Trotz einer - oberflächlichen - FBI-Untersuchung, konnte Kavanaugh, 53, Wunschkandidat von US-Präsident Trump, sich durchsetzen.

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Heft 54/2018
#frauenland
100 Jahre Frauenwahlrecht, 1 Jahr #MeToo - Wie modern ist Deutschland?
Kavanaugh, der sich bei einer Anhörung im Senat selbstgerecht und emotional darüber empört hatte, wie eine angebliche Schmutzkampagne der Demokratischen Partei sein Leben und seine Familie zerstört hätte, wird nun auf Lebenszeit im Obersten Gerichtshof der USA sitzen - und womöglich weitreichende juristische Entscheidungen treffen.
Über die Vorwürfe gegen Kavanaugh, so muss man McConnell verstehen, wird schon der Streusand des Vergessens wehen. So war es schließlich immer unter der patriarchalischen Herrschaft der WASPs, der weißen, angelsächsisch-protestantischen Männer Amerikas - und so soll es auch gefälligst bleiben. Kavanaughs Berufung in den Supreme Court ist ein schwerer Schlag gegen die progressiven Kräfte in den USA, eine symbolische Zementierung der Machtverhältnisse. Auch der #MeToo-Bewegung hält Kavanaughs Berufung ein Stoppschild entgegen: Bis hierhin und nicht weiter.
"Wie ein Schlag ins Gesicht" habe es sich angefühlt, sagte eine der Frauen, die sich vor der Abstimmung mit der republikanischen Senatorin Susan Collins aus Maine getroffen hatten, um ihr von Missbrauchserfahrungen zu berichten. Trotzdem hatte Collins, eine von wenigen weiblichen Senatorinnen, am Ende für Kavanaugh gestimmt. Sie empfand die Beweislast als nicht ausreichend, es müsse auch für ihn die Unschuldsvermutung gelten. Donald Trump frohlockte, viele Frauen seien "extrem glücklich" über die Entscheidung pro Kavanaugh, weil sie an ihre Söhne, Ehemänner, Brüder und Onkel dächten, die wegen #MeToo allzu leicht zu Unrecht sexueller Misshandlungen beschuldigt werden könnten. Er nannte die Senatsentscheidung einen "historischen Moment".
Das ist er auch. Denn er dient dazu, eine gerade erst im Kraftakt #MeToo veränderte Wahrnehmung von Machtverhältnissen wieder zu verschieben: Nicht mehr die Frauen, die sich entschließen, Gewalt-Erfahrungen zu schildern, gelten als Opfer. Sondern die Männer, die sich, einmal beschuldigt, ihrer gesamten Existenz beraubt sehen: Job, Familie, Reputation, Zukunft - alles dahin, weil jemand Anschuldigungen in den öffentlichen Raum stellt. "Es ist eine angsteinflößende Zeit für junge Männer in Amerika", sagt Präsident Trump.
Das stimmt sogar, einerseits: Die Anschuldigung, sexuellen Missbrauch begangen zu haben, ist ein scharfes Schwert. Es fügt dem - oder der - Beschuldigten Stigmata zu, die nur schwer wieder zu tilgen sind. So ein Schwert sollte vorsichtig geführt werden. Andererseits aber gefährdet das aus Angst vor Machtverlust geborene Argument, Männer seien die eigentlichen Opfer, die öffentliche Wucht, die #MeToo braucht, um Barrieren aus Scham und Schweigen zu durchbrechen.
#frauenland
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Der in der US-Bevölkerung immer lautere Vorwurf, in einem juristischen Vakuum den Missbrauchsvorwurf zu instrumentalisieren, um eine linksliberale Agenda durchzudrücken, ist deshalb die größte Bedrohung für die #MeToo-Bewegung.
Um nachhaltig erfolgreich zu sein und über Jahrhunderte bestehende Strukturen zu verschieben, braucht sie nicht nur beständig Enthüllungen durch Medien, sondern auch Rückhalt bei möglichst breiten Bevölkerungsschichten.
Im Moment aber ist vor allem die Verunsicherung und der daraus resultierende Widerstand groß und laut - und er trennt nicht zwischen Geschlechtern, sondern folgt den Bruchlinien der ideologischen Spaltung, die sich in den USA spätestens seit der Wahl Trumps zu einer unüberwindbaren Schlucht auszuweiten scheint: "Die Zukunft ist nicht weiblich, sie gehört sowohl euren Töchtern, als auch euren Söhnen", schreibt die zornige Kommentatorin Melissa Danford im rechtslastigen Blog "The Federalist" : "Grundlegende Gesetze zu missachten, wird Frauen nicht ermächtigen, das zu tun wird uns alle versklaven. Wir müssen diesen Irrsinn stoppen, bevor es zu spät ist."
Gleichberechtigung - was muss sich noch ändern?
Wenn der Kampf gegen sexuelle Übergriffe schon von Frauen als "Irrsinn" bezeichnet wird - ist #MeToo dann gescheitert? Müssen die Männer den Sturm nur lange genug aussitzen, um am Ende - als Opfer einer vorübergehenden Hysterie - wieder zu ihren Privilegien zurückzukehren?
Komiker Louis C.K., der sich freimütig zu seinem sexuellen Fehlverhalten bekannt hatte, hielt ein Jahr offenbar für eine angemessene Frist, um wieder aus der Büßerstarre zu erwachen: Vor einigen Wochen trat er überraschend in einem New Yorker Comedy-Club auf - und riss Witze über "rape whistles", Pfeifchen, mit denen Frauen um Hilfe rufen können, wenn sie vergewaltigt oder misshandelt werden. Das Publikum, hauptsächlich Männer, lachte und johlte. So beschrieb es eine Zuschauerin.
Was tun, um diese Gegenreaktion eines Systems, in dem Männer sich ohne Konsequenzen nehmen können, was ihnen gefällt, auszuhebeln?
Idealerweise bräuchte es standardisierte Verfahren, damit die durch #MeToo in den öffentlichen Raum gestellten Beschuldigungen zügig juristisch aufgeklärt werden können. Die Verurteilung des TV-Stars Bill Cosby zu einer mehrjährigen Haftstrafe ist der bislang größte messbare Erfolg der Bewegung: Das Urteil zeigt, dass Machtmissbrauch und sexuelle Nötigung nicht nur reale Verbrechen sind. Sondern, dass sie auch Konsequenzen haben können, die sich nicht durch vehementes Abstreiten und Opfer-Posen abstreifen lassen.
Ein großes Missverständnis wäre es deshalb, den Fall Kavanaugh als eine Art öffentlichen Gerichtsprozess zu deuten, der nun mit einem Freispruch für den Angeklagten endete. Er war lediglich ein politisch hintertriebenes Theater. Nichts ist damit geklärt, nichts ist erledigt. Im Gegenteil: Alle Beteiligten gehen ethisch und moralisch beschädigt daraus hervor, nicht zuletzt der Supreme Court als vermeintlich neutrale Institution.
Nur, wenn sich die auch hier manifeste Aussage-gegen-Aussage-Situation auflösen lässt, aus der Männer ebenso wie Missbrauchsopfer eine berechtigte Angst vor Ächtung ableiten, kann die #MeToo-Bewegung ihre revolutionäre Kraft voll entfalten. Gemeinsam mit Justiz und Politik ein konsensfähiges Regelwerk für den Umgang mit Anschuldigungen zu finden, wird wohl die größte Herausforderung der kommenden Zeit.
Dass der Bedarf groß ist, zeigt eine Meldung, die im Lärm linker und rechter Empörungen fast unterging: Während das mutmaßliche Opfer Christine Blasey Ford vor laufenden TV-Kameras ihr Statement über Kavanaugh abgab, verzeichneten die US-Hotlines für Opfer sexueller Angriffe einen Zuwachs an Anrufen von mehr als 200 Prozent. Der Gegenwind mag stark sein. Aber der richtige Sturm fängt erst an.