Spaniens Premier unter Druck
Sánchez ist den Katalanen ausgeliefert
Am Morgen danach ist auf Madrids Plaza de Colón gar nichts mehr zu sehen von der Großkundgebung am Sonntag. Keine Flugblätter, keine Plakate, keine Überreste von Transparenten - selbst die Mülleimer sind gähnend leer am Platz rund um das Denkmal des Christoph Kolumbus. Madrids Stadtreinigung hat ganze Arbeit geleistet. Chinesische Touristen schießen Selfies in der wärmenden Februarsonne.
Nur die überdimensionalen rot-gelb-roten Flaggen an einem nahe gelegenen Gebäude zeugen noch von der Demonstration "Für ein vereintes Spanien - Wahlen jetzt", zu der die rechtsgerichtete Opposition aufgerufen hatte. 45.000 Menschen sollen sich hier nach Angaben der Regierung versammelt haben. Von 200.000 Teilnehmern sprechen die Organisatoren.
Bewährungsprobe für Sánchez
Spaniens Rechtsparteien hatten all ihre Kräfte mobilisiert für diese Kundgebung. Pablo Casado und Albert Rivera, die Chefs der konservativen Volkspartei PP (Partido Popular) und der rechtsliberalen Ciudadanos, sind sogar zusammen mit dem Führer der rechtsradikalen Partei Vox aufgetreten. Die beiden wittern die Gelegenheit, die Macht in Madrid zu übernehmen - mit Vox als Steigbügelhalter. Ihre Chancen stehen gut.
Spaniens sozialistischer Premier Pedro Sánchez steckt in der Klemme, nach nicht einmal neun Monaten im Amt. An diesem Dienstag und Mittwoch debattiert das Parlament über den Haushaltsvorschlag von Sánchez' Minderheitsregierung. Es ist die bisher größte politische Bewährungsprobe für den neuen Premier.
Womöglich bekommt Sánchez nicht genug Verbündete für seinen Budgetplan zusammen. Weil seine eigene Partei nicht einmal ein Viertel aller Abgeordneten stellt, ist sie unter anderem auf die Unterstützung zweier katalanischer Separatistenparteien angewiesen. Und die Nationalisten drohen damit, Sánchez die Gefolgschaft zu verweigern.
"Wir wollen, dass Sánchez einen konstruktiven Dialog mit uns führt", sagt Alfred Bosch, Minister für Beziehungen zum Ausland ist, dem SPIEGEL. "Aber wie können wir über einen Haushalt verhandeln, wenn die spanische Regierung den Dialog abbricht?"
Die beiden katalanischen Regionalparteien haben Sánchez ins Amt gehievt - im vergangenen Mai, als der Sozialist den konservativen Amtsinhaber Mariano Rajoy per Misstrauensvotum stürzte. Anders als der starrsinnige Rajoy zeigte Sánchez Dialogbereitschaft: Er traf sich mit dem katalanischen Regierungschef Quim Torra, stellte ihm Verhandlungen über eine erweiterte Autonomie in Aussicht. In seinem Haushaltsplan sind für Barcelona mindestens 700 Millionen Euro höhere Zuschüsse als 2018 vorgesehen.
Prozess gegen katalanische Politiker
Doch Torra und Co. genügt das nicht. Die katalanischen Spitzenpolitiker fordern ein Recht auf Selbstbestimmung für ihre wohlhabende Region. Viele streben mittelfristig immer noch die staatliche Unabhängigkeit an. "Wir wollen mit Sánchez über alles verhandeln, nicht nur über den Haushalt", sagt in Barcelona Minister für Beziehungen zum Ausland ist, Bosch zum SPIEGEL.
Ausgerechnet an diesem Dienstag, fast parallel zur Haushaltsdebatte, startet in Madrid ein Gerichtsprozess, der Millionen Spanier in Wallung versetzt: das Verfahren gegen zwölf führende Separatisten wegen ihrer Aktivitäten rund um das illegale Abspaltungsreferendum 2017. Die Hauptangeklagten sitzen schon mindestens ein Jahr in Untersuchungshaft. Ihre Parteifreunde beschweren sich, dass die Madrider Regierung die so genannten "politischen Gefangenen" weder auf freien Fuß gesetzt noch die Anklage abgemildert habe.
Prozess gegen katalanische Abgeordnete
Allerdings darf eine Regierung in einem demokratischen Rechtsstaat gar nicht derart in Belange der Justiz eingreifen. Dies wäre eine grobe Verletzung des Prinzips Gewaltenteilung. Bosch sieht das anders. Der Generalstaatsanwalt und andere Vertreter der Anklage würden von der Regierung ernannt, argumentiert er. Es gebe durchaus politische Einflussnahme. "Dieser Gerichtsprozess ist ein historischer Fehler", sagt Bosch zum SPIEGEL. "Er erschwert den Dialog erheblich."
Die rechtsgerichtete Opposition würde Neuwahlen begrüßen
Die Regierung in Madrid hat den Katalanen nun ein Ultimatum gestellt. Spanischen Medienberichten zufolge verschickte Sánchez' Stellvertreterin Carmen Calvo vor dem Wochenende eine WhatsApp-Mitteilung an ihre katalanischen Gesprächspartner mit dem Text: "Ich verstehe das als Nein. Viel Glück." Bis zum Mittwoch könnten es sich die Katalanen noch anders überlegen, sagte Calvo. "Ohne Haushalt verkürzt sich die Legislaturperiode."
Nichts wäre der rechtsgerichteten Opposition lieber als Neuwahlen. Laut den jüngsten Umfragen würden Sánchez' Sozialisten zwar stärkste Partei werden. Die PP und die Ciudadanos würden aber die Mehrheit erringen, wenn sie sich mit Vox einlassen. Vor wenigen Wochen haben die beiden Parteien in der Region Andalusien mithilfe der Stimmen der rechtsradikalen Abgeordneten die Regierungsgewalt übernommen.
Dass Casado und Rivera keine Berührungsängste haben, demonstrierten die beiden Parteichefs am Sonntag auf der Plaza de Colón: Für das Abschlussfoto ließen sie sich gemeinsam mit dem Vox-Anführer Santiago Abascal ablichten.