Englands WM-Aus gegen Kroatien
Stecker gezogen
England träumte schon vom Finale - und verspielte die historische Chance innerhalb weniger Sekunden. Sicherheit und Selbstvertrauen gingen verloren, als beim Gegner Kroatien von Müdigkeit nichts zu sehen war.
Donnerstag, 12.07.2018
12:04 Uhr
Manchmal sind es unerklärliche Kleinigkeiten, die ein Fußballspiel ins Gegenteil verkehren. Im zweiten WM-Halbfinale waren es wenige Sekunden in der 68. Minute. Ivan Rakitic, bis dahin kraftloser Spielmacher der Kroaten, verlagerte das Spiel auf die rechte Seite. Sime Vrsaljko, bis dahin einfallsloser Flankengeber, löffelte den Ball in den Strafraum. Und Ivan Perisic, bis dahin glückloser Angreifer, war in der viel schlechteren Position als sein Gegenspieler Kyle Walker. Trotzdem fiel der Treffer zum Ausgleich gegen bis dahin souveräne Engländer.
Das Tor konnte fallen, weil Perisic mit Entschlossenheit in den Zweikampf ging, Walker überraschte und Schiedsrichter Cuneyt Cakir nicht auf gefährliches Spiel entschied. Der Fuß des Kroaten war etwas zu hoch, der Kopf von Walker aber auch eine Spur zu tief, und so war selbst das eine glückliche Fügung für Kroatien. Es gibt Schiedsrichter, die diesen Zweikampf abgepfiffen hätten.
Aber Konjunktive verhindern keine Tore. Auf der Anzeigetafel des Luschniki-Stadions stand das 1:1. Und so, wie Kroatien in den folgenden Minuten wie frisch der Eistonne entsprungen aufspielte, verlor England das Vertrauen in die eigene Stärke. "Wir hätten ein zweites Tor gebraucht", bilanzierte der englische Trainer Gareth Southgate nach dem Spiel. "Ich war auch nicht überrascht, wie Kroatien nach der Pause gespielt hat. Sie sind einfach erfahrener als wir."
Große Mannschaften reagieren anders
Die mangelnde Erfahrung war schon vor dem Turnier als größter Faktor genannt worden, wenn die fehlende Titelreife dieser englischen Mannschaft thematisiert wurde. Und dabei geht es weniger um ein zweites eigenes Tor und auch nicht um diese vermaledeite 68. Minute. Es geht vielmehr um das, was mit den jungen Three Lions danach passierte. Bei Kroatien war Müdigkeit nur noch ein Märchen. Bei England gingen Souveränität, Sicherheit und Selbstvertrauen verloren.
Jordan Pickford, Tor: Zeigte früh, dass die Engländer endlich wieder einen modernen Torwart haben, als er einen hohen Ball am Elfmeterpunkt abfing und das Spiel sofort mit einem scharfen Abschlag in die Spitze schnell machte . Anders als im Viertelfinale gegen Schweden, als er drei starke Rettungstaten zeigte, konnte er sich gegen Kroatien nur einmal ernsthaft auszeichnen, als er zum Ende der ersten Hälfte der Verlängerung furchtlos ins Duell mit Mario Mandzukic ging und dessen Ball mit dem Knie abwehrte. Bei beiden Gegentoren ohne Chance.
Kyle Walker, Abwehr (bis 112. Minute): Spielte herrliche lange Bälle auf die Außenpositionen und verdiente sich eine Ehrenmedaille für besondere Nehmer-Qualitäten, als er nach einer guten Stunde einen Schuss von Ivan Perisic, nun ja, mit der Körpermitte blockte. Noch mit Glück, als sein Querschläger keine Folgen hatte. Dann im Pech, als er beim Ausgleich gegen Perisic zu spät kam - und Schiedsrichter Cüneyt Cakir den Karatesprung des Kroaten nicht als gefährliches Spiel einstufte.
Jamie Vardy, Angriff (ab 112. Minute): Kam nach Kroatiens 2:1 als dritter Angreifer und sollte helfen, irgendwie noch den Ausgleich zu erzwingen. Das gelang nicht.
John Stones, Abwehr: War die meiste Zeit ein sicherer Abwehrchef. Gewann viele Zweikämpfe, blockte fast alle Bälle ab und strahlte viel Ruhe aus. Erst ab der Schlussphase der 90 Minuten mit Unsicherheiten. Brachte zum Beispiel seinen Torwart per Rückpass in Bedrängnis. In der Verlängerung doppelt unglücklich. Erst wurde seine Kopfballchance geklärte, dann entwischte ihm Mario Mandzukic vor dem 1:2.
Harry Maguire, Abwehr: Wurde von Trainer Gareth Southgate nach seinem Kopfballtreffer gegen Schweden als "Gigant in beiden Strafräumen" bezeichnet und wurde diesem Ruf auch gegen Kroatien gerecht. Bei eigenen Ecken immer eine Bedrohung für das Tor des Gegners, hinten bis auf wenige Ausnahmen sicher. Hatte Glück, dass es kurz vor der Pause nach seinem Zweikampf gegen Dejan Lovren keinen Elfmeter gab. Im Spielaufbau wichtig mit seiner Gelassenheit.
Kieran Trippier, Mittelfeld: Die WM bringt bei den Engländern in jedem Spiel einen neuen Helden hervor, den man vor dem Turnier nicht in dieser Rolle erwartet hatte. Gegen Schweden war das Maguire, diesmal bewarb sich Trippier früh um den Heldenstatus mit seinem hübschen Freistoßtreffer rechts oben ins Eck. Auch sonst ein Aktivposten auf seinem rechten Flügel. Spielte allerdings beim 1:2 eine unglückliche Rolle, als er das Kopfballduell gegen Vorlagengeber Perisic verlor. War am Ende also eher tragischer Held.
Jordan Henderson, Mittelfeld (bis 97.Minute): War ein starker Verbindungsmann zwischen Abwehr und Angriff. Hielt das Mittelfeld gut zusammen, half viel hinten aus und stand fast immer richtig. In der Schlussphase der 90 Minuten sogar mit einem Torschuss, der allerdings deutlich über das Ziel flog.
Eric Dier, Mittelfeld (ab 97. Minute): Galt bis kurz vor der WM als gesetzt im englischen Mittelfeld, verlor aber kurz vor der Abreise nach Russland seinen Stammplatz an Henderson. Hatte also viel Wut im Bauch und zeigte das, als er gleich nach seiner Einwechselung einen wuchtigen Fernschuss absetzte, der allerdings geblockt wurde.
Ashley Young, Mittelfeld (bis 91. Minute): Seine Ecken waren gefährlich, seine Flankenläufe hatten Wucht. Hinten dagegen mit einer zwiespältigen Vorstellung. Wirkte in einigen Situationen unsicher, zum Beispiel, als er sich Mitte der ersten Halbzeit den Ball von Ante Rebic klauen ließ. Hatte aber auch wichtige Rettungstaten im Programm und nahm kurz vor der Pause mit einer kunstvollen Grätsche in letzter Sekunde Revanche an Rebic.
Danny Rose, Mittelfeld (ab 91. Minute): Fügte sich nach seiner Einwechselung mit einem energischen Lauf ins Zentrum ein und konnte von Rebic nur per Foul gebremst werden. Auch danach engagiert, hatte allerdings das Problem, dass seinen Mitspielern zunehmend die Kräfte ausgingen. Wirkte frustriert, als er nach einem Lauf auf der linken Seite feststellte, dass niemand mitgekommen war.
Jesse Lingard, Mittelfeld: Ließ mit einzelnen Aktionen immer wieder seine Begabung aufblitzen. Steckte den Ball nach einer halben Stunde wunderbar auf Harry Kane durch. Zielte kurz vor der Pause nicht genau genug und setzte seinen Flachschuss von der Strafraumkante knapp neben das Tor. Nach dem Ausgleich bemüht, die Engländer mit seinem Schuss aus spitzem Winkel wieder ins Spiel zu bringen.
Dele Alli, Mittelfeld: War von den Kroaten nicht in den Griff zu bekommen. Das zeigte sich schon früh, als er an der Strafraumkante von Luka Modric gefoult wurde und damit den Freistoß provozierte, der zu Trippiers 1:0 führte. Hatte immer wieder die Füße im Spiel, wenn die Engländer im Angriff gefährlich wurden und arbeitete viel nach hinten mit.
Raheem Sterling, Angriff (bis zur 74. Minute): Rannte viel, jagte die kroatischen Verteidiger und zwang sie so zu Fehlern. Eroberte nach 20 Minuten den Ball gegen Ivan Strinic und hätte selbst den Abschluss suchen sollen, anstatt den im Abseits befindlichen Harry Kane anzuspielen. Ohne die entscheidende Zielstrebigkeit zum Tor und am Ende erschöpft.
Marcus Rashford, Angriff (ab 74. Minute): Übernahm Sterlings Posten im Sturm neben Harry Kane, wirkte gleich sehr präsent wegen seiner Größe und konnte kurz vor Ende der regulären Spielzeit im rechten Halbfeld nur per Foul gebremst werden. Zeigte viel Einsatz, war aktiv, am Ende aber glücklos.
Harry Kane, Angriff: Dürfte mit seinen sechs Toren bester Schütze der WM werden, hatte aber - ausgerechnet! - im wichtigsten Spiel kein Glück. Kam nach Sterlings Ball-Klau in der 20. Minute zum ersten Mal vor das Tor der Kroaten und scheiterte nach einer halben Stunde aus spitzem Winkel auf rätselhafte Weise an Torwart Danijel Subasic. Beide Aktionen wurden allerdings nachträglich wegen Abseits abgepfiffen. Kurz vor Ende der 90 Minuten mit einem guten Kopfball aber eben neben das Tor.
Große Mannschaften - und das kann dieses talentierte Team noch gar nicht sein - brauchen vielleicht wenige Minuten, um wieder zur bewährten Linie zurückzukehren, wenn überhaupt. Doch der englische Stecker war gezogen. Das Team ließ sich in die Defensive drängen und schaffte es bis zum Ende der regulären Spielzeit nicht, eigene Akzente im Angriff zu setzen. "In der Verlängerung waren wir wieder besser und haben die Kontrolle zurückbekommen", sagte Southgate, "aber Kroatien ist immer gefährlich." So wie in der 109. Minute, als die Innenverteidiger John Stones und Harry Maguire beim Kopfball von Perisic nicht aufmerksam waren und in ihrem Rücken Mario Mandzukic frei zum Schuss kam.
"Es war eine wundervolle Gelegenheit, und niemand weiß, ob wir noch mal eine solche Chance bekommen", blickte Southgate trotz aller Enttäuschung gleich wieder nach vorne: "Aber wir wissen, dass es möglich ist." England stellte eins der jüngsten Teams bei dieser Weltmeisterschaft und die Leistungsträger können noch auf Jahre zusammenbleiben. "Das ist ein großer Schritt nach vorne und sie können nur noch besser werden", sagte auch Ex-Nationalspieler und TV-Moderator Gary Lineker.
Das Märchen von der Müdigkeit
Das trifft in dieser Form auf Kroatien nicht zu. Für die Generation um Superstar Luka Modric, seinen Mittelfeldpartner Ivan Rakitic oder den Siegtorschützen Mandzukic ist die WM in Russland die wahrscheinlich letzte Chance auf einen WM-Titel. So lässt sich auch diese beeindruckende Mentalität erklären: Zum dritten Mal in Folge musste Kroatien eine Verlängerung überstehen, bei dreimal 30 Minuten Extrazeit hat das Team im Grunde ein ganzes Spiel mehr absolviert.
Danijel Subasic, Tor: Der Torwart aus Monaco war nach dem Krimi gegen Russland im Viertelfinale fraglich, konnte seine Oberschenkelverletzung aber rechtzeitig auskurieren. Das 0:1 fiel jedoch nicht, weil Subasic womöglich ein paar Prozent an Fitness gefehlt haben, der Freistoß von Kieran Trippier war für den Keeper schwer zu sehen und sehr platziert geschossen. Danach gab es weitere brenzlige Situationen, zwei davon wurden wegen angeblicher Abseitsstellungen zurückgepfiffen und so musste Subasic bis zum Ende der regulären Spielzeit nur noch selten eingreifen. Hatte in der Verlängerung Glück, als Sime Vrsaljko für den geschlagenen Torwart rettete (99. Minute).
Sime Vrsaljko, Abwehr: Der Rechtsverteidiger hatte im ersten Durchgang die meisten Ballkontakte in der kroatischen Mannschaft, was ein guter Beweis für die Überlegenheit Englands ist. Vrsaljko hat seine Stärken nicht im Spielaufbau, aber wenn er in der gegnerischen Hälfte am Ball war, lief es auch nicht besser. Alle vier Flanken kamen nicht zum Mitspieler, zudem gewann Vrsaljko nur einen von fünf Zweikämpfen. Dass eine weitere Flanke des 26-Jährigen, insgesamt schlug er neun, aus dem Halbfeld zum Ausgleich führte, ist der Treppenwitz dieses Spiels. Als er dann in der Verlängerung einen Kopfball von John Stones kurz vor der Torlinie wegköpfte, war Vrsaljko plötzlich so etwas wie Kroatiens Spieler des Spiels.
Dejan Lovren, Abwehr: Der englische Trainer Gareth Southgate hatte im Vorfeld die kroatische Innenverteidigung als Schwachpunkt ausgemacht, vor allem was die Schnelligkeit in Zweikämpfen gegen Raheem Sterling angeht. Deshalb spielten die Engländer viele lange Bälle, um Lovren, der als Profi des FC Liverpool bestens bekannt ist, in Verlegenheit zu bringen. Als er gegen Harry Kane dann mal direkt in den Zweikampf kommen wollte, hatte Lovren Glück, nicht die erste Gelbe Karte des Spiels gesehen zu haben (22.). Kam im Laufe des Spiel immer besser rein, was aber auch daran lag, dass England die Offensivbemühungen bis zum Ausgleich fast komplett einstellte.
Domagoj Vida, Abwehr: Der zweite Innenverteidiger hatte weniger mit der Schnelligkeit der englischen Angreifer, sondern mehr mit dem unversöhnlichen russischen Publikum zu kämpfen. Nach dem Erfolg im Viertelfinale gegen Russland hatte Vida in einem Videoclip "Ruhm der Ukraine" gerufen und sich so den Zorn der Zuschauer im Luschniki-Stadion zugezogen. Vida wurde bei Ballbesitz ausgepfiffen, ließ sich davon aber nicht beeindrucken und spielte seine Rolle mit viel Routine runter. War insgesamt der bessere Innenverteidiger, der wie schon im gesamten Turnier fast ohne Foulspiel auskam. Vida küsste nach dem Tor von Mandzukic einen Fotografen, mehr musste er in der Verlängerung nicht machen.
Ivan Strinic, Abwehr (bis 95. Minute): Je länger das Spiel dauerte, umso mehr verlegte Kroatien die Angriffe auf die linke Seite. Das lag an Rebic, der von rechts hinüberwechselte, das lag aber auch am lange indisponierten Vrsaljko. Dessen Gegenüber Strinic machte aus seinen Freiheiten auf links etwas mehr, hätte aber mit einem Fehlpass in der 22. Minute fast einen zweiten Gegentreffer verschuldet, wenn Sterling etwas mehr Mut zum Abschluss gehabt hätte. Strinic hätte nach einem Doppelpass mit Rebic die erste Großchance der zweiten Hälfte vorbereiten können, sein Querpass war aber viel zu ungenau (58.). Schleppte sich gegen Ende der regulären Spielzeit nur noch über den Platz und musste in der Verlängerung ausgewechselt werden.
Josip Pivaric, Abwehr (ab 95. Minute): Der Abwehrspieler von Dynamo Kiew ersetzte Strinic und wurde auch auf links eingesetzt, beschränkte sich aber vor allem auf die Defensive. Pivaric wurde in der zweiten Hälfte der Verlängerung immer mutiger und setzte zu zwei starken Sololäufen an.
Marcelo Brozovic, Mittelfeld: Trainer Zlatko Dalic wählte gegenüber dem Sieg gegen Russland mit Brozovic statt Andrej Kramaric die etwas defensivere Variante und hoffte auf weniger Ballbesitz, um nicht das Spiel machen zu müssen. Diese Rechnung ging dank des frühen Rückstands nicht auf, wofür Brozovic nichts kann. Der Profi von Inter Mailand war in der Folge darum bemüht, Struktur in den Spielaufbau zu bringen, was ihm auch gelang. Kroatien gestaltete das Spiel nach 20 Minuten offener, was auch an Brozovic lag. Nach der Pause dann ein intelligenter Ballverteiler.
Ante Rebic, Mittelfeld (bis 101. Minute): Den Pokalheld von Eintracht Frankfurt kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Und so hatte Rebic dann auch als erster Kroate den frühen Rückstand abgehakt, auf der rechten Seite führte er packende Zweikämpfe mit Ashley Young und kam zu zwei guten Schusschancen (21./32.). Wechselte später mit Ivan Perisic die Seite, was seinem Spiel nicht so entgegenkam. Rebic fehlte der "Bruda" im kroatischen Mittelfeld, der ihn richtig in Szene setzt. Sah nach einem Foul in der Verlängerung die Gelbe Karte.
Andrej Kramaric, Mittelfeld (ab 101. Minute): Der Hoffenheimer kam für seinen Bundesliga-Kollegen Rebic und hatte gleich eine gute Schusschance, wurde aber geblockt (106.). Vergab in der Schlussminute freistehend die endgültige Entscheidung.
Luka Modric, Mittelfeld (bis 119. Minute): Wenn es einen Star in dieser ausgeglichen besetzten kroatischen Mannschaft gibt, dann ist es der vierfache Champions-League-Sieger. Doch das Spiel ging denkbar schlecht los für Modric, nach seinem Foul an Dele Alli ging England durch das Freistoßtor von Trippier in Führung (5.). Die kroatische Passmaschine kam im weiteren Verlauf der ersten Hälfte nur wenig zur Geltung, 24 Ballaktionen in 45 Minuten sind für Modric ein unterirdischer Wert. Nach der Pause wurde der Einfluss von Modric größer - und das Spiel dieser zähen Kroaten immer besser.
Milan Badelj, Mittelfeld (ab 119. Minute): Kam für Modric, sah und siegte einfach mit.
Ivan Rakitic, Mittelfeld: Mit seinen beiden Kühlschrank-Elfmetern hatte Rakitic seine Mannschaft gegen Dänemark und Russland jeweils eine Runde weiter geschossen. Ansonsten war er bisher im WM-Verlauf eher in der Defensive gebunden, um Modric mehr Freiheiten einzuräumen. Das war gegen England etwas anders, auch weil Modric nicht ins Spiel kam und Rakitic deshalb etwas mehr für die Offensive tun konnte. Wirklich effektiv war das aber in den seltensten Fällen. Gerade Rakitic machte nach zwei Spielen über 120 Minuten einen kaputten Eindruck. Bekam dann aber nach dem Ausgleich, den er mit einer schönen Verlagerung einleitete, wie alle seine Kollegen, die achte Luft bei dieser WM.
Ivan Perisic, Mittelfeld: Es dauerte bis zur 19. Minute, ehe Kroatien das erste Mal gefährlich vor das Tor von Jordan Pickford kam. Der ehemalige Bundesligaprofi von Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg zog von seiner linken Seite ins Zentrum, der Abschluss landete jedoch nur am Außennetz. Kroatien wollte mit Perisic und Rebic das Spiel breitmachen, was aber lange Zeit nicht den gewünschten Erfolg brachte. Perisic war es dann, der den Ausgleich erzielte (68.), manche sagen artistisch, andere sagen mit gefährlichem Spiel, was den Videoassistenten aber nicht auf den Plan rief. Wenig später traf Perisic auch noch den Pfosten und hätte fast das gesamte Spiel gedreht, was er mit der Vorlage zum Mandzukic-Tor nachholte.
Mario Mandzukic, Angriff (bis 115. Minute): Es war eine undankbare erste Hälfte für den Angreifer von Juventus, der mit Abstand die wenigsten Ballkontakte hatte und keinen Torschuss verzeichnen konnte. Mandzukics Frust war spürbar, als er direkt nach der Pause nach einem Pfiff des Schiedsrichters den Ball ins Seitenaus faustete und dafür die Gelbe Karte sah (48.). Mandzukic gewann viele Kopfballduelle und kam in der 83. Minute dann zu seinem ersten Torschuss, den Pickford aber parierte. Noch besser machte es der Torwart in der Nachspielzeit der ersten Hälfte in der Verlängerung, als er im Fünfmeterraum gegen Mandzukic zur Stelle war. Entwischte Stones und Harry Maguire dann einmal - und erzielte den 2:1-Siegtreffer. Manchmal werden Stürmer für ihre Beharrlichkeit belohnt.
Vedran Corluka, Abwehr (ab 115. Minute): Brachte den Sieg dieser unkaputtbaren kroatischen Mannschaft als zusätzliche Absicherung mit über die Zeit.
"Ich kann den Spielern Fußball nicht mehr beibringen", sagte Trainer Zlatko Dalic, der selbst kein Nationalspieler war. "Aber ich konnte sie stark reden, ihnen Selbstvertrauen geben und das Wichtigste vermitteln: niemals aufgeben." Das ging sogar so weit, dass die eigentlich müden Kroaten nicht mal ausgewechselt werden wollten. "Ich wollte früher wechseln, aber die Spieler wollten alle drinbleiben", sagte Dalic. "Wir werden keine Entschuldigungen suchen, auch wenn wir schon dreimal 120 Minuten gespielt haben."
Modric ging noch einen Schritt weiter und zog aus den Diskussionen der vergangenen Tage eine besondere Motivation: "Englische Journalisten haben Kroatien unterschätzt, das war ein großer Fehler", sagte der von vielen Experten als bester Spieler dieser WM eingestufte Modric. "Nach allem, was wir gelesen haben, haben wir uns gesagt: 'Ok, heute werden wir ja sehen, wer müde sein wird.'"
Nun trifft Kroatien am Sonntag (17 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) im Finale auf Frankreich. Mit "Herz und Stolz", wie es Dalic ausdrückt, soll dann der nächste große Gegner auf Normalmaß geschrumpft werden. Zuzutrauen ist dieser Mannschaft alles.