Olympische Winterspiele in Südkorea
Weg mit der Fahne
Vielleicht ist Thomas Bach doch ein Revolutionär.
Moment mal: Bach, jener Präsident, der nicht die Traute hat, durchschlagend und konsequent auf das russische Dopingsystem zu reagieren?
Wenn der IOC-Boss die Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang eröffnet, werden russische Athleten dabei sein - ungeachtet der eindeutigen Doping-Belege durch den McLaren-Report. Sie dürfen zwar nicht als russisches Team auftreten, die russische Nationalhymne wird im Falle ihrer Erfolge nicht gespielt, ihre Fahne nicht enthüllt. Erkennbar sind die russischen Sportler als solche dennoch, wenn man ihre Trikots ganz genau anschaut. Das soll revolutionär sein?
Doch genau dieser ebenso umstrittene wie schwammige Entschluss, russische Athleten an den Winterspielen teilnehmen zu lassen, ihnen aber Hymne und Fahne zu verweigern, könnte die Spiele in eine ganz neue Richtung lenken. Der IOC-Chef hat damit, ohne es zu wollen, der Olympischen Idee eine Zukunft gegeben. Man muss sie nur größer denken.
Die Fahne im Wind
Athleten nicht als Deutsche, nicht als Russen, nicht als US-Amerikaner oder Chinesen, sondern als Sportler auftreten zu lassen, würde den Charakter der Spiele grundlegend verändern. Bisher ist Olympia ein Wettbewerb der Nationen, eine Veranstaltung, die nationale Bedürfnisse befriedigt. Nichts anderes tut der Medaillenspiegel. Nichts anderes wird mit den Emotionen beabsichtigt, die mit dem Abspielen der Hymne verbunden sind. Dazu weht die Fahne im Wind.
Aber ist das wirklich ein modernes Abbild des Sports? Tritt eine Lindsey Vonn wirklich an, um ihr Land zu vertreten? Oder nicht vielmehr aus dem nachvollziehbaren Impuls, Ruhm, Geld und Sponsoren für sich zu mehren? Kämpft Claudia Pechstein auf dem Eisoval wirklich für Deutschland? Oder ist es nicht vielmehr ihr persönlicher Kampf gegen Weltverband und Kritiker?
Olympische Spiele sind Hochfeste des nationalen Pathos. Das wird auch in Südorea so sein, wo sie ihre Shorttrack-Stars bejubeln und keine große Lust haben, sich Biathlon oder Langlauf anzuschauen, weil die eigenen Athleten dort keine Chance haben. Olympische Spiele mögen mittlerweile global sein - die Geldströme, die damit verbunden sind, sind es in jedem Fall - aber wirklich international sind die Spiele nie gewesen.
Ein Gedankenspiel
Die Sächsin Aileen Frisch tritt bei den Winterspielen für Südkorea an, der Sachse Michael Rösch für Belgien. Beide haben mit diesen Ländern nichts am Hut, sie haben keine koreanischen oder belgischen Wurzeln, sie tun dies nur, weil sie sich in Deutschland nicht gegen die Besten durchsetzen konnten und weil die entsprechenden Länder hoffen, mit ihnen besser abzuschneiden. Deutlicher kann man den ganzen Irrwitz des nationalen Wettkampfes nicht beschreiben.
Weg mit der Fahnenschwingerei, mit der Hymne, so wunderschön manche auch klingen, mit der Medaillenzählerei - das wäre eine radikale Maßnahme. Und Regierungen aller Länder hätten kein Interesse mehr, zum Ruhme der Nation staatliche Dopingnetzwerke aufzuziehen. Plötzlich wäre der Spitzensport keine nationale Angelegenheit mehr, Bundesinnenminister müssten sich nicht mehr auf die Siegerfotos drängeln und den Daumen auf der Sportförderung halten. Plötzlich ginge es nur noch um die Sportler.
Natürlich ist das alles Illusion, ein Gedankenspiel. Natürlich werden alle in Deutschland in den kommenden zwei Wochen von Pyeongchang vor allem über Erfolge und Pleiten deutscher Athleten berichten, auch SPIEGEL ONLINE wird da keine Ausnahme machen. Und zur Schlussfeier weht dann auch wieder die russische Fahne. Das hat Thomas Bach bereits versprochen.