AT&T kauft Time Warner
Riskante Abwehrschlacht des alten Riesen
Zwei Worte kursieren in Telekomkonzernen, die ihre Angst vor dem radikalen Wandel der Branche auf den Punkt bringen: "dumme Leitung". Jahrzehnte standen die Fronten im Mediengeschäft fest: Die einen bauten Netze für schnelles Internet und Telefonie, die anderen speisten sie mit Inhalten. Nun wirbeln Onlinefirmen wie Netflix und Amazon mit eigenen Medienofferten das Geschäft der etablierten Konzerne auf. Netzbetreiber fürchten, mit ihren Datenpipelines zu billigen Transporteuren herabgestuft zu werden, Medienfirmen verlieren Kunden. Mit dem Kauf von Time Warner will der US-Telekomkonzern AT&T gegenhalten - durch schiere Masse.
Einen neuen Mediengiganten mit einem Marktwert von mehr als 300 Milliarden Dollar schaffen AT&T-Chef Randall Stephenson und Time-Warner-Lenker Jeff Bewkes. Inklusive Schulden spendiert AT&T 108,7 Milliarden Dollar für den Kauf des US-Medienkonzerns und wandelt sich so immer mehr zum Inhalteanbieter. Winken die Wettbewerbshüter den Bund durch, wäre dies die größte Firmenübernahme des Jahres - noch weit vor dem 66 Milliarden Dollar teuren Kauf des US-Gentechnikkonzerns Monsanto durch den deutschen Pharmariesen Bayer.
Die beiden Unternehmen ergänzten sich perfekt, betonte AT&T-Chef Stephenson. Mit dem Deal verfüge das Telekommunikationsunternehmen künftig über "die weltbesten Premium-Inhalte und die Netzwerke, um diese an jeden Bildschirm zu liefern, wann immer die Kunden wollen". Es sei ein großes Ärgernis für Kunden, dass sie einmal für Inhalte zahlen und dann nicht überall und auf jedem Gerät Zugriff darauf hätten, sagte Stephenson. "Unser Ziel ist es, das zu ändern."
Schwieriger Kampf gegen Angreifer Netflix und Amazon
Durch die Übernahme versucht AT&T-Chef Stephenson, neue Geldquellen zu erschließen. Wie andere Netzbetreiber bröckeln dem Konzern die Erlöse im klassischen Kerngeschäft mit dem Durchleiten von Inhalten weg. Alle Telekomkonzerne suchen daher nach Chancen, selbst ins Mediengeschäft einzusteigen. Time Warner öffnet AT&T dazu mit seinen Angeboten für Unterhaltung, Nachrichten und Sport die Chance. Der Medienkonzern besitzt Fernsehsender wie CNN und HBO ("Game of Thrones"), das zugehörige Hollywood-Studio Warner Bros. besitzt die Rechte an Kassenschlagern wie "Batman" und "Harry Potter". Zudem hält das Unternehmen zehn Prozent am Netflix-Konkurrenten Hulu.
Das Hauen und Stechen der Anbieter im Medienmarkt wirbelt die beteiligten Branchen durcheinander. Onlinefilme von Anbietern wie Netflix und Amazon gewinnen immer mehr Fans. Nahezu alle Kultserien können bei den Streamingdiensten über das Web abgerufen werden.
Längst produzieren die Unternehmen selbst erfolgreiche Serien, räumen teils sogar Preise ab - Amazon etwa mit der Emmy-prämierten Serie "Transparent" oder "Mozart in the Jungle", für die das Unternehmen den Golden Globe erhielt. Netflix zählte jüngst bereits 86,7 Millionen Abonnenten. Zusammengerechnet investierten Netflix und Amazon nach Angaben der Analysten von IHS Markit im vergangenen Jahr 7,5 Milliarden Dollar in Eigenproduktionen - mehr als die Sender CBS oder Warners HBO.
Ob es den neuen Partnern gelingt, den Angriff der aggressiven Konkurrenz allein durch Größe zu parieren, müssen die Manager erst noch beweisen. Ähnliche Bünde haben die großen Erwartungen bisher enttäuscht. Time Warner scheiterte mit den Ideen für einen der größten Medienkonzerne der Welt, als das Unternehmen vor Jahren mit AOL fusionierte. Bewkes musste die AOL-Reste später an der Börse zum Schnäppchenpreis verkaufen. Der Kauf von NBC Universal mit Senderkette und Filmstudios brachte dem Kabelkonzern Comcast längst nicht so viel wie einst erhofft. Mit der Übernahme des für Streifen wie "Shrek" verantwortlichen Trickfilmstudios Dreamworks hat Comcast dennoch jüngst nachgelegt.
Deal mit finanzieller Sprengkraft
Experten zweifeln daran, dass Infrastrukturkonzerne durch den Kauf von Inhalteproduzenten auf dem Markt glänzen können, denn sie sind teuer und arbeiten in völlig anderen Geschäftsfeldern. Das Risiko ließe sich verkleinern, indem die Telekomkonzerne nur Verwertungsrechte erwerben. Solche kritischen Stimmen spielen allerdings zur Zeit keine Rolle. Konzerne wie AT&T wollen mehr Zugriff auf Kunden und können kaum tatenlos zusehen, wenn die Konkurrenz die besten Firmen dafür wegschnappt.
Mit dem Kauf von Time Warner geht das US-Telekomurgestein AT&T ein großes finanzielles Wagnis ein. Der AT&T-Konzern, der bis in die Anfänge der Telekomnetze der USA zurückreicht, ist bereits mit 120 Milliarden Dollar verschuldet. Schon vergangenes Jahr hatte das Unternehmen für seine Medienexpansion den Satelliten-TV-Anbieter DirectTV für fast 50 Milliarden Dollar gekauft.
Offenbar wollte der AT&T-Chef mit Time Warner auch Konkurrenten zuvorkommen. Laut "Wall Street Journal" soll Apple ein Auge auf den Medienkonzern geworfen und vor einigen Monaten Kontakt mit Time Warner für einen möglichen Zusammenschluss aufgenommen haben. AT&T-Konkurrent Verizon, dem AOL und die "Huffington Post" gehören, hat derzeit auch Interesse an der Übernahme von Yahoo. Vergangenes Jahr hatte zudem Rupert Murdochs Mediengruppe Twenty-First Century Fox für Time Warner geboten. Doch dessen Chef Bewkes hatte die Offerte zurückgewiesen.
Das Geschäft mit AT&T wurde von beiden Unternehmensspitzen einstimmig gebilligt, teilten die Konzerne dagegen mit. Von einem "großartigen Tag für Time Warner und seine Aktionäre" sprach Time-Warner-Chef Bewkes. Er hofft sein Unternehmen in guten Händen, wenn er bald abtritt. Laut jetzigen Plänen bleibt er Time-Warner-Chef, solange die Kartellbehörden den Zusammenschluss prüfen und danach noch eine zeitlang, bevor er abtritt, um "einen geschmeidigen Übergang sicherzustellen". Er ließ offen, wie lange das dauern dürfte.