Frauen in der Öffentlichkeit
Willkommen in der Antike!
Eine männerdominierte Clique aus Journalisten, Werbern, Digitalberatern mobbte über Jahre Frauen, verbreitete diffamierende Fotomontagen, koordinierte gezielte Attacken gegen YouTuberinnen, Journalistinnen, Moderatorinnen - mindestens zwei Frauen zogen sich daraufhin aus der Netzöffentlichkeit zurück. Was viele beim Fall der französischen "League du LOL" am meisten wundert: Es handelte sich nicht um die Sorte Männer, die viele mit frauenfeindlichen Prototypen assoziieren.
Keine alten abgehängten weißen Männer, die die Welt nicht mehr verstehen und keine jungen arabischen Männer (Gott sei Dank - dann würden wir jetzt nicht über Sexismus reden, der alle betrifft, sondern eine rassistisch geprägte Diskussion um das Frauenbild im Islam führen). Nein, die "League du Lol" setzte sich aus einer liberalen Medienelite zusammen, die selbstbewusst auftrat und als "cool Kids" mit "scharfem Humor" von anderen bewundert wurde - einer der Männer arbeitete mal als Community Manager für Emmanuel Macron, einer pendelte zwischen Paris und Berlin, viele von ihnen sind heute erst Mitte 30.
Tatsächlich ist aber nicht verwunderlich, dass auch vermeintlich aufgeklärte Männer misogyn handeln. Das systematische Stillmachen von Frauen im öffentlichen Raum - im Netz, aber auch in Talkshows, in Parlamenten, bei Arbeitsmeetings, beim Smalltalk auf Partys - prägt unsere Kultur seit Jahrtausenden in allen gesellschaftlichen Bereichen unhinterfragt. Und gerade deshalb so machtvoll. Dahinter steht ein Konzept von Autorität, das bis heute vor allem die männliche Deutungshoheit über die Welt kennt.
In ihrer Analyse "Frauen und Macht" zeichnet die Althistorikerin Mary Beard eindrücklich nach, wie schon in der Antike Frauen systematisch von öffentlicher Rede ausgeschlossen wurden. Nur ein Beispiel: Der griechische Dichter Aristophanes widmete im 4. Jahrhundert vor Christus eine ganze Komödie der Idee, dass Frauen die Regierung eines Staats übernehmen. Die Pointe des Stücks bestand darin, dass diese sich nicht angemessen äußern können, nicht vom privaten "weiblichen" Sprechen wechseln können in die rationale, "männliche" Politikrhetorik. Auch waren Frauen, die die Macht ergriffen, Medusa oder Antigone etwa, nie Vorbilder, sondern wurden dargestellt als Menschen, die die Macht missbrauchen, für Verderben und Tod sorgen - und bestraft wurden.
Im US-Wahlkampf 2016 bedienten sich Trump-Anhänger genau dieser Idee: Zahlreiche Fotomontagen zeigten Hillary Clinton mit Schlangenlocken, bei den schlimmsten war zusätzlich der Kopf Trumps über das des Perseus gelegt, der Medusa mit dem Gesicht Clintons köpft.
Nicht nur verklären wir die Antike oft als ein demokratisches Ideal, obwohl sie in Wirklichkeit für viele Menschen eine Epoche der Unfreiheit war, auch die öffentlichen Abwertungs- und Diffamierungsmechanismen sind den damaligen noch sehr viel ähnlicher, als wir es uns eingestehen wollen.
Nur in zwei Ausnahmen, schreibt Beard, wurde öffentlich redenden Frauen in der Antike nicht mit Abscheu begegnet: Wenn sie als Opfer oder Märtyrerinnen sprachen, um den eigenen Tod anzukündigen, und wenn sie speziell für sich selbst sprachen - sich für ihre Familie, andere Frauen oder ihren Ehemann einsetzten. Aber eine Analysefähigkeit, die sich auf das Allgemeine bezieht, nicht auf die "Frauennische", in der die Macht nie angesiedelt ist, war ihnen nie erlaubt.
Das gilt so noch heute, wenn die "League du LOL" Frauen von Twitter vertreibt - dem sozialen Netzwerk, in dem sich vor allem die politische und mediale Elite äußert. Männer hingegen werden nicht sanktioniert. Wenn sie sich äußern, wird ein Sachgegenstand automatisch zur allgemeinen Verhandlungssache. Dahinter steht wiederum unausgesprochen die Annahme, dass es sich, wenn die Männer schweigen, "nur" um ein "Frauenthema" handeln würde.
Eine perfide Taktik
Das wird aktuell auch deutlich in der Debatte um den Paragrafen 219a: Die Kämpfe um eine Liberalisierung des Abtreibungsverbots werden als allgemein eingeordnet, weil hier tatsächlich Macht verhandelt wird, konkret Frauen- und Männerbilder. Männer melden sich hier selbstverständlich zu Wort, obwohl es um einen Eingriff in den Körper der Frauen geht. Gleichzeitig wird aber, dringt eine Frau in einen männlich konnotierten Bereich ein, sofort die Frage gestellt, ob sie das darf, denn dieser wird als allgemein wahrgenommen, nicht als die Nische, in die sie gehört - erinnern Sie sich etwa an die Debatte um die Fußballkommentatorin Claudia Neumann.
Auch in der antiken Literatur wurde die Autorität der tiefen männlichen Stimme betont, während die Schreiber von der weiblichen Stimmhöhe auf Feigheit schlossen. Ist das heute anders? Margaret Thatcher etwa machte einst ein spezielles Training, um eine tiefere Stimme zu bekommen. Und noch immer gelten laute oder gar wütende Männer als "leidenschaftlich" oder "für die Sache" kämpfend.
Negativ konnotierte Adjektive wie "schrill", "hysterisch" oder "zickig" sind hingegen dafür vorgesehen, die laute Frau nach ihrer Rede abzuwerten - und so auch das Gesagte. Sie verschieben die Debatte aus dem Öffentlichen ins Private, weisen nicht auf Sachfehler, sondern auf individuelle Merkmale hin: Die "League du LOL" etwa attackierte Frauen, weil sie diese "dumm", "peinlich", oder "dick" fand.
Das Perfide an dieser Taktik: Die sprechende Frau muss im Gegensatz zum sprechenden Mann nicht nur sachliche Angriffe abwehren, sondern auch noch mit diesen Abwertungsmechanismen umgehen, die immer aufs Persönliche zielen - es entwickelt sich ein Zweifrontenkampf, den sich keine Frau aussucht, den sie aber führen muss, sobald sie in einem Meeting sitzt, in dem Männer die Mehrheit bilden.
Angst vor der Entmannung
Es ist deshalb plausibel, dass so viele Frauen still werden, vielleicht sogar selbst zu Komplizinnen einer Machtstruktur werden, die sie am Ende immer unterordnet: Sie haben bei diesem Kampf viel zu verlieren. Denn, auch das war in der Antike nicht anders als heute, der Ausschluss des Weiblichen wird zusätzlich auch noch öffentlich demonstrativ zur Schau gestellt, um ein bestimmtes Konzept männlicher Macht abzusichern.
Eines, in dem das Runtermachen von Frauen vor anderen Männern benötigt wird, weil es so fragil ist, dass es sonst zerbrechen würde. Es ist in diesem Konzept kein Widerspruch, "cool Kid" und ein Sexist zugleich zu sein, es ist vielmehr nötig, ein Sexist zu sein, will man von den anderen Männern als "cool Kid" anerkannt werden.
Die Philosophin Kate Manne erkennt hier eine heimliche weibliche Macht: Frauen, schreibt Manne, können Männer öffentlich beschämen, indem sie sie etwa lächerlich machen oder belehren. Das führe zu einem Gesichtsverlust vor anderen Männern, der als so kränkend wahrgenommen wird, dass der Mann im harmlosesten Fall nur wütend wird, im schlimmsten Fall gewalttätig.
So gelesen war die "League du LOL" kein Klub "cooler Kids", sondern ein Klub hochfragiler Dudes, voller Angst vor den Frauen. Der laute Mann, der die Frau übertönt und am liebsten unter sich bleibt, ist auch immer schwach, weil er Angst vor der Entmannung hat.