ARD-Doku "Der Machtkampf"
Große Verletzungen - große Hoffnungen
Stephan Lamby ist der Frederick Forsyth der deutschen Fernsehreportage. Seit 20 Jahren verwandelt er, was ihm so an Zeitgeschichtlichem über den Weg läuft, in packende Thriller. Seien es Affären in Politik und Wirtschaft oder Porträts handelnder Akteure - unter den Händen dieses Produzenten wird daraus meistens ein atemloses Drama.
Spitzengeschwindigkeitsfernsehen ist auch sein neuester Streich. Noch ist der Machtkampf um den Vorsitz der CDU nicht entschieden, da läuft schon "Der Machtkampf" zur besten Sendezeit, beinahe in Echtzeit, erzählt als "Geschichte großer Hoffnungen" sowie "großer Verletzungen", möglicherweise "sogar alter Rechnungen".
Von Angela Merkels angekündigtem Verzicht auf den Parteivorsitz erzählt diese Doku denn auch, wie ein Blockbuster aus Hollywood die Chronologie eine Katastrophe entfaltet:
- Um "9.53 Uhr" meldet Melanie Amann vom "Spiegel" per Twitter, was ihr aus der Präsidiumssitzung durchgestochen wurde.
- Schon um "10.22 Uhr" erklärt der Boulevard: "Merz zur Kandidatur für CDU-Vorsitz bereit".
- Um "12.45 Uhr" rückt endlich Spahn nach. Fehlt nur, dass die Uhrzeiten mit einem dramatisierenden Schreibmaschinengeräusch eingeblendet werden.
Ausführliche Werdegänge der Kandidaten
Nach dem minutiösen Einstieg lässt Lamby sich viel Zeit, die jeweiligen Werdegänge dieses Trios zu schildern. Annegret Kramp-Karrenbauer als Innenministerin, bald Ministerpräsidentin des Saarlandes und Generalsekretärin der CDU. Jens Spahn als junger Abgeordneter, bald Staatssekretär und Bundesminister. Nur Friedrich Merz mit seiner 16-jährigen politischen Abwesenheit bleibt blass beziehungsweise dubios, mit seinen Verbindungen in die Finanzindustrie.
Die Kandidatin und die Kandidaten geben auch selbst Auskunft, vor der Kamera. "Wenn du springen willst, dann jetzt", schildert Merz seinen Entschluss zur Kandidatur. Und Kramp-Karrenbauer sagt: "Ich habe dann mein Herz sozusagen in die Hand genommen und über die Hürde geworfen." Spahn wiederum schildert seinen Herzwurf über die Hürde in den Ring als logische Folge vernünftiger Erwägungen.
In solchen Momenten wirkt "Der Machtkampf" bisweilen wie eine Sondersendung von "CDU TV", was aber in der Natur seines Gegenstands liegt. Es ist nun einmal nicht ohne Relevanz und das erste Mal seit 1971, dass bei den Christdemokraten demokratisch über einen neuen Vorsitz abgestimmt wird.
Professionelle Distanz zu allen Beteiligten
Lamby hält professionelle Äquidistanz zu allen Beteiligten auch dann, wenn er Dritte nach ihnen befragt. Laschet, Strobel, Klöckner, Oettinger, sie alle geben vor der Kamera Auskunft. Aus dem Archiv melden sich Schäuble und sogar Kohl. Es geht um Schäuble und die Kanzlerin und die Art und Weise, wie plötzlich wieder Merz aus der Versenkung auftauchte. Bierdeckel, Andenpakt, kommt alles vor.
Wirklich Neues aber fördert "Der Machtkampf" nicht zutage. Wer hin und wieder die Zeitung liest, weiß das alles. Aber Fernsehen ist Fernsehen, und speziell diese Dokumentation bei aller behaupteten Aktualität eine eher ausgeruhte Meditation über die Macht - auch jene der guten Beobachtung. Hier kommt eine Sinnlichkeit ins Spiel, die sich für politische Dokumentationen eigentlich verbietet.
Merkeldämmerung? Sonnenuntergang hinter dem Kanzleramt, Schleichfahrten durch verwaiste Korridore. Präsidiumssitzung? Langsame Schwenks in den leeren Saal. Hier, raunt es, hier ist es passiert. Nur selten aber zeigt sich dieser Film allzu verknallt in die erogene Nähe zur Macht, die Kraft der Bilder - wenn der Reporter etwa Armin Laschet im abgedunkelten Dienstwagen des Ministerpräsidenten befragt und der doch nichts verraten will.
Detektivische Blicke und Arrangements
Stark ist "Der Machtkampf" immer dann, wenn stumme Bilder die Erzählungen auf subtile Weise illustrieren.
Geht es um das Duell zwischen Merkel und Schäuble, sehen wir die beiden im Gespräch, in wortloser Draufsicht, bei dem Schäuble sich mürrisch gibt, von Merkel beharrlich bequatscht wird und doch mürrisch bleibt. Geht es um Kramp-Karrenbauer, sehen wir die Kanzlerin verstohlen an ihrer möglichen Nachfolgerin herab- und wieder heraufschauen. Geht es um den jungen Spahn, der sich "nach vorne robben" will, sehen wir, wie er durch den Saal robbt und einfach nur stehen gelassen wird, unter anderem von Friedrich Merz.
Hin und wieder sehen wir alle drei Kandidaten sozusagen "backstage" bei den Regionalkonferenzen, in irgendwelchen Kantinen linkisch umeinanderschleichen - stumm zwar, aber umso mehr in körpersprachliche Gefechte verknäult. Bisweilen sehen wir alle drei Kandidaten im Splitscreen, sodass wir uns einen eigenen Reim auf ihre Mienenspiele machen können. Wer ist nassforsch? Wer nachdenklich? Wer staatstragend?
Diese detektivischen Blicke und Arrangements sind es, die diese Doku so sehenswert machen. Den Delegierten wird sie bei der Entscheidung keine Hilfe sein. Einem breiteren Publikum aber erzählt "Der Machtkampf" mit suggestiver Kraft und visueller Eleganz davon, wie aufregend Demokratie sein kann. Wie aufregend genau? Genau so.
"Der Machtkampf", Montag 03.12.2018, 20.15 Uhr, Das Erste.