Blutiger "Tatort" aus Wien
Knochenjob Serienkiller
"Bisschen zu überladen": Eisner und Fellner verfolgen einen Mörder, der im Akkord tötet und die Leichen umständlich arrangiert. Ein Serienkiller-"Tatort", bei dem die Ermittler die Kritik gleich mitliefern.
Freitag, 12.01.2018
09:08 Uhr
Serienmörder haben es auch nicht leicht. Über die letzten Jahrzehnte wurden in Krimis immer wieder neue Maßstäbe gesetzt, was die Inszenierungen ihrer Taten angeht. Zwischen Serienmördern, so wie wir sie aus dem Kino und aus dem Fernsehen kennen, herrscht ja ein knallharter Kampf in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie. Wer denkt sich die ambitioniertesten Tötungstechniken aus? Wer drapiert seine Opfer am ausgefallensten? Wer legt die anspruchsvollsten Spuren und Verweise aus?
In diesem Wettbewerb um die brutalsten und brillantesten Morde kann man schon mal von Müdigkeit übermannt werden. Prekäres Arbeitsumfeld, starker Konkurrenzdruck, hohes Eigenrisiko - so mancher Serienmörder steht da vielleicht schon vor dem Burn-out. So wie es vor Kurzem zu sehen war im Münster-"Tatort", einer Psychokiller-Parodie, wo ein offenbar stark erschöpfter Täter die Leichen plump als Pappmachéskulpturen arrangierte. Die hohe Kunst der Serienmords geht anders.
Der neue "Tatort" aus Wien handelt nun ebenfalls von einem Serienkiller, der seinen Job ziemlich schludrig absolviert. Er arbeitet zwar im Akkord, die Abstände zwischen den Toten sind für Morde solcher Art extrem kurz, aber seinen hohen Anspruch an Originalität kann er nicht einlösen.
Dabei gibt er sich große Mühe. So wie er das wahrscheinlich schon mal in anderen Krimis gesehen hat, richtet der Serienmörder seine Opfer in ikonischen Posen her: Die erste Leiche inszeniert er in Jesus-Haltung, um sie herum zeichnet er ein orthodoxes Kreuz an die Wand, eine andere knüpft er an einer Toilettendecke auf, dazu stellt er als Judas-Zitat einen Topf mit Münzen auf den Boden. Zusätzlich wurden die Opfer anal penetriert; irgendwas Sexuelles muss bei solchen Taten ja immer mitschwingen.
Theologie und Trieb
"Bisschen zu überladen", kommentiert Major Eisner (Harald Krassnitzer) trocken gegenüber Kollegin Fellner (Adele Neuhauser). In Serienkillerthrillern ist der Kommissar ja auch immer eine Art Kunstkritiker, der das Werk des Täters zu interpretieren und zu taxieren hat. Eisner stellt dem Mörder jedenfalls kein gutes Zeugnis aus, weil seiner Meinung nach Theologie und Trieb stümperhaft zusammengemixt werden.
Lannert und Bootz in Stuttgart
Die Geschundenen: Richy Müller als Thorsten Lannert und Felix Klare als Sebastian Bootz sind prima Kerle. Der eine mit tragischer Undercover-Ermittler-Vergangenheit, der andere als ehrenhaft gescheiterter Ehemann. Seit 2008 sind sie im Einsatz, am Anfang wurde die Fälle noch arg routiniert runtergespült. Doch die jüngsten Stuttgart-Episoden behandeln auf ästhetisch höchstem Niveau Aufregerthemen wie Stuttgart 21, unaufgearbeitete RAF-Geschichte und Pflegenotstand. Nur der Satanisten-Horror war zuletzt ein bissl stumpf.
Boerne und Thiel in Münster
Der Prof und der Proll: Seit 2002 ermitteln Jan Josef Liefers als Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne und Axel Prahl als Frank Thiel zwischen Keksdynastien, Kartoffelkönigen und Spargelkaisern. Der eine Snob und eng verbandelt mit der Münsteraner Honoratiorenschaft, der andere St.-Pauli-Fan und Outsider. Eine Kombination, mit der anfangs gekonnt grotesker Humor in den "Tatort" geschmuggelt wurde, der erschöpfte sich in den letzten Jahren aber in Gag-Kanonaden. Zwei Fälle im Jahr, regelmäßig von neuen Quotenrekorden flankiert.
Borowski und Sahin in Kiel
Der Weltenwandler: Als Klaus Borowski ist Axel Milberg am besten, wenn er in Parallelkosmen von Psychopathen hinabsteigt - vielleicht weil Borowski selber nah am Wahnsinn gebaut ist. Seit 2003 dabei, stand bis 2009 sinnigerweise unter der Beobachtung einer Polizeipsychologin. Doch die Frauen kommen und gehen im Borowski-"Tatort". Nach Maren Eggert und Sibel Kekilli hat nun die hochgehandelte türkischstämmige Schauspielerin Almila Bagriacik ("4 Blocks") die Rolle des weiblichen Sidekick übernommen.
Murot in Hessen
Keine Angst vor dem Pianisten! Ob am Klavier, an der Kettensäge oder am Maschinengewehr - Ulrich Tukur als Kommissar Murot ist fast immer eine Sensation. Fast immer: Die Nummer mit den Gauklern in der Zirkus-Folge "Schwindelfrei" von 2013 war wirklich übel, dafür war die Tarantino-meets-Truffaut-Folge "Im Schmerz geboren" 2014 ein absolutes Meistwerk und die Murmeltier-Folge der von den SPIEGEL-ONLINE-Lesern am meisten geliebte "Tatort" der letzten Saison.
Gorniak, Winkler und Schnabel in Dresden
Lustig ging es los, unentschieden ging es weiter, düster ist es geworden. Alwara Höfels, Karin Hanczewski und Martin Brambach hatten in den ersten Folgen sehr zu kämpfen mit dem unausgegorenen Konzept des MDR. Höfels zog inzwischen die Konsequenzen und verabschiedete sich. Nun hat Cornelia Göschel als Kommissarin Winkler übernommen - in ihrem ersten Auftritt ging um einen spießigen Serienkiller. Der Dresden-"Tatort" will nun ein harter, zeitgemäßer Cop-Krimi sein.
Berg und Tobler im Schwarzwald
Eva Löbau als Franziska Tobler und Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg benötigen keine Dialogfanfaren oder exotische Rollenbiografien. Sie verwerten, was dieser witterungsintensive Krimi-Schwarzwald hergibt. Ein Heimatkrimi, in dem alles lokal produziert wird: Obst, Schnaps, der Tod. Mit den letzten, exzeptionellen Folgen bewies das Revier in Deutschlands äußerstem Südwesten aber auch eine extreme Risikobereitschaft und zeigte jeweils einen Fall aus der Perspektive eines Schizophrenen und eines Sexualstraftäters.
Tschiller in Hamburg
Die "Tatort"-Allmachtsträume habe sich nicht erfüllt. Der zu Extra-Konditionen engagierte Mega-Star Til Schweiger brachte der Krimi-Reihe keine Mega-Quoten als Kommissar Tschiller. Auch nicht durch Panzerfaust- und Helene-Fischer-Einsatz. Nach an der Publikumsfront gescheiterten Action-Blockbuster-Versuchen ist gerade die sechste Tschiller-Folge in Hamburg abgedreht worden: Der Haudrauf, so hört man, soll darin als gebrochene Figur gezeichnet werden. Ausstrahlung nicht vor 2020.
Dorn und Lessing in Weimar
Ist das noch ein Krimi? Nora Tschirner als Kommissarin Dorn und Christian Ulmen als Kollege Lessing lassen mit lässiger Eleganz die üblichen "Tatort"-Ermittlerstanzen ins Leere laufen - und das ausgerechnet im Einflussgebiet des MDR, wo man sich früher schwer tat mit Humor und Subversion. Nach der anfänglich schleppenden Programmierung als Event-"Tatort" ermitteln Dorn und Lessing nun zweimal im Jahr.
Falke in Norddeutschland
Für immer Punk: Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke hört Punk und trägt zum Schlafen wie zum Ermitteln ein fadenscheiniges Ramones-Shirt. Erst war er in Hamburg unterwegs, dann musste er Til Schweiger die Stadt überlassen und zog ins norddeutsche Umland ab, jetzt darf er wieder in Hamburg ermitteln. In der Rolle der Co-Ermittlerin agiert Franziska Weisz als Julia Grosz. Zwei Folgen im Jahr.
Faber, Bönisch, Dalay und Kossik in Dortmund
Die Kranken: Jörg Hartmann schluckt als Peter Faber reichlich Pillen und schlägt Toiletten kaputt. Anna Schudt als Kollegin Martina Bönisch steigt mehr zum Frustabbau als zum Lustgewinn mit Callboys und Staubsaugervertretern ins Bett. Aylin Tezel als Nora Dalay und Stefan Konarske als Daniel Kossik haben schon gemeinsam auf Streife und im Bett zusammen geschwitzt - würden aber niemals das L-Wort benutzen. Zwei Folgen im Jahr. Eines der wenigen TV-Reviere mit stringenter Figurenentwicklung. Die Elite des deutschen Fernsehkrimis. Stefan Konarske ist inzwischen ausgestiegen und wurde durch Rick Okon ("Das Boot") ersetzt.
Brix und Janneke in Frankfurt
Wie sind die denn drauf? So ausgeglichen wie Paul Brix (Wolfram Koch, l.) und Anna Janneke (Margarita Broich, r.) geht sonst niemand in Fernsehkrimideutschland zur Arbeit. Gute Laune als Alleinstellungsmerkmal, ein interessanter Dreh. Statt Reibung die geballte Aufmerksamkeit für den jeweiligen Fall. Brix war früher bei der Sitte, Janneke hat zuvor als Psychologin gearbeitet: Eine gute Ergänzung, um in die harten, kranken und doch oft auch heiter verdrehten Fälle des hessischen "Tatorts" hinabzusteigen. Hier wird gerne experimentiert, unvergessen der Geisterhaus-Horror, der für heftigen Debatten innerhalt der ARD sorgte. Zwei Folgen im Jahr.
Rubin und Karow in Berlin
Er ein Schwein, sie eine Schlampe: Im Gegensatz zu den einstigen sonnigen Haupstadt-Cops Ritter und Stark sind "Tatort"-Nachfolger Mark Waschke als Robert Karow und Meret Becker als Nina Rubin mit extrem schwarzen Strich gezeichnet. Während Karow in der ersten Episode krumme Geschäfte mit der Drogenmafia laufen hat, vergnügt sich Rubin bei SM-Spielchen in den Hinterhöfen von Kreuzberger Hipster-Bars. Neben krassen Charakterzeichnungen gibt es im radikal modernisierten Berliner "Tatort" vor allem stimmige Hauptstadtimpressionen. Zwei Folgen pro Jahr. Meret Becker wird die Reihe bald verlassen, die Nachfolge ist noch ungeklärt.
Stellbrink in Saarbrücken
Der Unentschlossene: Seit 2013 ermitteln Devid Striesow als Jens Stellbrink und Elisabeth Brück als Lisa Marx in Saarbrücken. Er ist ein kiffender Gefühlsmensch, sie eine rabiate Analysemaschine. Man mag es in Saarbrücken in Sachen Charakterzeichnung eben gerne ein bisschen schlichter. Das Potenzial des Großschauspielers Striesow wurde nie auch nur annähernd ausgeschöpft. Abgang im Januar 2019.
Voss und Ringelhahn in Franken
Die Fremden: Felix Voss ist ein verirrtes und verschlossenes Nordlicht mit Vorliebe für Techno-Exzesse, Paula Ringelhahn machte noch zu Mauerzeiten aus dem Osten rüber, weil sie an Freiheit und Demokratie glaubte. Jetzt ermitteln die beiden Kommissare, die überhaupt nicht zueinanderpassen, in einer Gegend, in der sie zudem noch deplatziert wirken. Eine reizvolle Grundsituation. Einmal jährlich gehen Fabian Hinrichs und Dagmar Manzel als ungleiches Paar im Hinterland von Unter-, Mittel- und Oberfranken auftreten. Hinrichs hatte zuvor schon in einer BR-Episode als Ermittler-Kauz Gisbert für Furore und verliebtes Publikum gesorgt.
Eisner und Fellner in Wien
Der doppelte Espresso: Seit 1999 ermittelt Harald Krassnitzer als Major Moritz Eisner mürrisch, praktisch, gut. An die 5000 Tassen Mokka und andere starke koffeinhaltige Getränke hat er seitdem in sich hineingeschüttet. Seit 2011 wird er von Adele Neuhauser als Bibi Fellner unterstützt, einer (meistens) trockenen Alkoholikerin mit Hang zur Halbwelt am Prater. Wien, düster und kalt wie ein kleiner abgestandener Schwarzer. 2014 gab es den Grimme-Preis.
Ballauf und Schenk in Köln
Das Ehepaar: Klaus J. Behrendt als Max Ballauf und Dietmar Bär als Freddy Schenk standen lange für den guten alten Soziokrimi - kein Thema, das von den beiden nicht warmherzig wegermittelt und wegerklärt wurde. Schenk hat zu Hause eine Frau, die man noch nie gesehen hat. Aber mal ehrlich: Was kann die schon gegen seine große Liebe Ballauf ausrichten? Seit 1997 dabei, drei bis vier Fälle im Jahr. Nachdem Anfang 2014 Assistentin Franziska grausam aus dem TV-Revier gemordet wurde, geht es bei den Kölnern düsterer und unversöhnlicher zu. Steht den beiden "Tatort"-Oldies eigentlich ganz gut.
Odenthal in Ludwigshafen
Die Experimentiermaschine: Hier gab es die schönsten amourösen Eskapaden und die verwegensten Storys - samt Ausflug ins All. Ulrike Folkerts als Lena Odenthal ist seit 1989 im Einsatz, Andreas Hoppe als Mario Kopper stieß 1996 dazu. Aber hat den "Tatort" 2017 wieder verlassen. Zur Zeit stellt der SWR mit dem TV-Revier allerhand Versuche an, die beiden Impro-Folgen blieben aber weit hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem: Bitte weiter experimentieren!
Lindholm in Hannover und Umgebung
Die Frau von heute: Seit 2002 ist Maria Furtwängler in der Rolle der Charlotte Lindholm in Niedersachsen unterwegs und wurde in den letzten Jahren zum Inbegriff der modernen weiblichen Ermittlerin. WG-erfahren, hochschwanger während brisanter Ermittlungen, später brachte sie Kind und Karriere gut zusammen. Lindholm ist die personifizierte Selbstoptimierung, im Herzen konservativ, aber offen für Experimente. Kurz: die Ursula von der Leyen des "Tatorts". Früher zwei bis drei Episoden im Jahr, jetzt nur noch eine. Nicht immer großartig, niemals langweilig.
Batic und Leitmayr in München
Die ewigen Junggesellen: Seit mehr als einem viertel Jahrhundert sind die beiden schon im Einsatz - und immer noch gut für einen Skandal: Zuletzt sorgten Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec, l.) und Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit einem expliziten Krimi über das Münchner Porno-Geschäft für Aufruhr unter den Zuschauern. Ob Swingerclubs oder Polyamorie: Neugierig steigen die in Ehren ergrauten bayerischen Buben weiterhin in die schwierigeren erogenen Zonen der deutschen Gesellschaft hinab.
Der Serienmörderthriller ist ein überreiztes Genre, das insgesamt erhebliche Ermüdungserscheinungen aufweist. Seine Hochphase hatte es in den Neunzigerjahren mit Kinoerfolgen wie David Finchers "Se7en", jetzt wird es immer schwieriger, ihm neue Pointen und Aspekte abzuringen. Ein smarter Dreh, dass die Filmemacher (Regie: Christopher Schier, Buch: Mischa Zickler) durch die Ermittlersprüche die Kritik gleich mitliefern. Ein Film, der an Überfrachtung leidet und diese Überfrachtung selbst thematisiert - sehr sympathisch.
Die ambitionierte Spur, die der Mörder ausgelegt hat, führt die Ermittler über Umwege in ein noch viel ambitionierteres geopolitisches Verschwörungsszenario: Alle Opfer waren Anfang des Jahrtausends in (inzwischen gescheiterten) südosteuropäischen Befreiungsbewegungen aktiv gewesen, etwa bei der Rosenrevolution in Georgien oder beim ersten demokratischen Umbruchsversuch in der Ukraine.
Jetzt lebten sie enttäuscht vom Ausgang ihres Engagements und unter falschen Namen in Österreich; bei einem serbischen Professor (Misel Maticevic) laufen die Spuren verdächtig zusammen. Fellner und Eisner kämpfen sich bald durch einen Fall, in dem offenbar ganz große Mitspieler mitmischen. Bald raunen Informanten, dass auch "die Russen" oder "die CIA" involviert sein könnten.
Die Weitung des Serienmords in die Weltpolitik kommt in diesem "Tatort" sehr gewollt daher. Dass man trotzdem dranbleibt, ist dem Matter-of-fact-Charme der Ermittler zu verdanken, die mit ihrem Kommentar am Serienmörder auch gleich den Kommentar am Serienmörderplot mitliefern. Soviel Selbstkritik muss belohnt werden. Ein "Tatort", bei dem man gerne ein Auge zudrückt.
Bewertung: 7 von 10 Punkten
"Tatort: Die Faust", Sonntag, 20.15 Uhr, ARD