Vorwürfe gegen Produzent Weinstein
Hollywoods schmutziges Geheimnis
Das Luxushotel Biltmore in Los Angeles hat eine lange Hollywoodgeschichte. In seinem Ballsaal wurde 1927 die Academy of Motion Picture Arts and Sciences gegründet, die dort später viele Oscar-Galas abhielt. Das erste Design der Statuette soll auf einer Biltmore-Serviette entstanden sein.
Im Juni trafen sich Hunderte Medienmacher im Biltmore, um die Southern California Journalism Awards zu verleihen. Unter den Preisträgern: Harvey Weinstein, einer der erfolgreichsten Filmproduzenten. Gemeinsam mit Rap-Ikone Jay-Z gewann er den Truthteller Award für "kulturelle Aufklärung".
Vier Monate später scheint diese Auszeichnung reinste Heuchelei. Weinstein ("Shakespeare in Love", "The King's Speech") steht im Mittelpunkt des größten Hollywoodskandals seit Langem: Über Jahrzehnte hinweg soll er Frauen sexuell belästigt und das dann mit Schweigegeld vertuscht haben.
Weinstein, ein Top-Spender der US-Demokraten, hat sich zwar entschuldigt und wurde am Sonntagabend von seinem eigenen Studio fristlos entlassen. Doch damit ist es kaum getan. Denn der Fall ist längst zur Parabel mutiert: auf die Scheinheiligkeit Hollywoods und seiner politischen Freunde.
Trump: "Ich bin gar nicht überrascht"
Die Vorwürfe zerren ein schmutziges Geheimnis ans Licht: Seit jeher tuschelte die Filmbranche über Weinsteins Verhalten, doch unternahm nichts. Obwohl sie sich gerne rühmt, so gewissenhaft und progressiv zu sein. Und obwohl sie sich vor Empörung kaum einkriegte, als Bill O'Reilly und Roger Ailes, die größten Namen des konservativen Kabelsenders Fox News, ähnlich stürzten.
Selbst US-Präsident Donald Trump, ein alter Hollywoodinsider, bestätigte: "Ich kenne Harvey Weinstein seit Langem, ich bin gar nicht überrascht." Dass er das ausgerechnet am ersten Jahrestag des geleakten Videos sagte, auf dem er seinerseits mit sexuellen Übergriffen prahlte, störte ihn dabei offenbar nicht.
Klischee vom exzentrischen Mogul
Weinstein, 65, war seit jeher als cholerischer Despot berüchtigt. Er brüllte Filmemacher, Angestellte und Reporter an, manipulierte Oscar-Kampagnen, schüchterte selbst Megastars ein: "Ich bin der verdammte Sheriff dieser verdammten, gesetzlosen Scheißstadt", sagte er einmal. Damit meinte er zwar New York, wo seine Karriere begann, doch es galt auch für Hollywood.
Dort wurde sein Benehmen lange als klassisches Klischee vom exzentrischen Mogul beschönigt - auch von den Medien, die mit Weinstein eine lukrative Symbiose pflegten. Dass sein Benehmen oft sexueller Belästigung gleichgekommen sein soll, war ein offenes Geheimnis in Hollywood. "Die einzige Überraschung ist: Warum kam das erst so spät raus?", sagte ein PR-Manager der Website "The Wrap".
Weinsteins Macht ist tief verwurzelt. Er machte Starlets zu Stars, stützte mit seiner Produktionsfirma eine ganze Industrie - und hielt alle, die ihm im Weg standen, angeblich mit Einschüchterungen und Film-Deals in Schach. So berichtet es die "New York Times", die die brisanten Vorwürfe der Schauspielerin Ashley Judd und sieben anderer Frauen exklusiv publizierte.
Nur leichte Panik
Auffallend wenige Hollywoodgrößen distanzierten sich anfangs von Weinstein. Die "NYT" berichtete, etliche "Darsteller, Produzenten und Regisseure" hätten auf eine Stellungnahme verzichtet. Als eine der ersten solidarisierte sich Schauspielerin Lena Dunham ("Girls") mit den Frauen. Die bekanntesten Late-Night-Comedians hingegen - die keine Zeit verloren hatten, damals die Sex-Vorwürfe gegen Trump zu thematisieren - ignorierten den Fall. Selbst in der Show "Saturday Night Live" kam er am Samstag nicht vor.
Leichte Panik hingegen bei den Demokraten: Mehrere beeilten sich, Weinsteins Wahlspenden zurückzugeben oder weiterzureichen. Seit 1990 spendete Weinstein fast 1,5 Millionen Dollar an demokratische Kandidaten, allen voran Barack Obama und Hillary Clinton, mit denen er sich oft fotografieren ließ. Beide schwiegen bisher. Unter denen, die seine Gelder jetzt schnell abstießen: die Senatoren Chuck Schumer und Elisabeth Warren.
Der Los Angeles Press Club, der Weinstein im Juni mit dem Truthteller Award ausgezeichnet hatte, nannte die Vorwürfe am Sonntag "abscheulich" - erkannte ihm den Preis aber nicht ab, da er einem spezifischen Projekt gegolten habe, einer Dokumentation über einen fälschlich inhaftierten schwarzen Teenager. "Der Press Club", erklärte die Gruppe, "steht dazu."