Mecklenburg-Vorpommern
Zehn Seen, zehn Geschichten
Mecklenburg-Vorpommern ist nah am Wasser gebaut. Im Norden lockt die Ostsee, weiter südlich finden sich mehr als 2000 Seen. Kleine, mittlere und große. Viele mit, einige ohne Namen. Um sie herum ist das Land weit, der Himmel hoch.
Ein Paradies für Paddler und für Wanderer. Und für Radler, die entrückt vom Alltag über enge Alleen cruisen können - von einem zum nächsten blauen Flecken auf der Landkarte. Sie fahren vorbei an knorrigen Obstbäumen, die im Spätsommer reich an Äpfeln, Birnen und Pflaumen sind.
See ist nicht gleich See. Jeder Einzelne hat seine Geschichte. Erzählt wird sie von Menschen, die an den Ufern leben oder arbeiten. Wir haben zehn Seen und ihre Anrainer besucht - eine Reise quer durch Mecklenburg-Vorpommern, die 124 Kilometer nördlich von Berlin in Carwitz beginnt und in Groß Zecher 70 Kilometer entfernt von Hamburg endet.
Ort: 124 Kilometer nördlich von Berlin liegt der Carwitzer See, sein kleiner Bruder, der Schmale Luzin, schwappt direkt gegenüber an sein Ufer. Zwischen beiden Gewässern liegt Carwitz, ein Ort mit rund 300 Einwohnern. Ebenso viele Besucher mögen es sein, die sich auf den Terrassen der Eisdielen und Restaurants, an Badestrand und Bootsverleih tummeln. Abends gibt es Livemusik, zuweilen auch Lesungen und Vorträge. Von 1933 bis 1944 lebte hier der Berliner Schriftsteller Hans Fallada, der 1932 mit "Kleiner Mann - was nun?" bekannt wurde.
Treffen mit: Stefan Knüppel, Leiter des Hans-Fallada-Museums
Was gefiel Fallada an Carwitz?
Der See vor dem Haus war ihm wichtig: "Von allen Fenstern aus sehen wir Wasser, lebendiges Wasser, das Schönste auf Erden", schrieb er in seinem Buch "Heute bei uns zu Haus" über seine Carwitzer Zeit. Er besaß mehrere Boote und war oft auf dem See unterwegs.
Warum verschlug es Fallada nach Carwitz?
Nach dem Erfolg von "Kleiner Mann - was nun?" konnte er sich einen Landsitz leisten. Zudem war Fallada einigen Gelüsten zugetan. Alkohol, Tabak, Morphium. Der Umzug nach Carwitz war wohl auch eine Art Flucht vor sich selbst.
Und was verbindet Sie mit Carwitz?
In der Kindheit haben wir hier oft Urlaub gemacht. Durch den Verbund aus Seen und Wasserwegen kann man ausgedehnte Wasserwanderungen unternehmen. Ganz im Falladaschen Sinne. Dass ich heute hier arbeite, ist natürlich ein Glücksfall.
Ort: Südlich von Neubrandenburg liegt der Tollensesee. An sein Ostufer schmiegt sich das Dorf Klein Nemerow. Am Bootsanleger hält gerade die "Rethra", ein Linienschiff, das zwischen den Ufern pendelt. Auf der Wiese vor dem See hat sich eine Gruppe Radler zum Picknick eingerichtet.
Treffen mit: Roger Paeplow, Rezeptionist im Seehotel Heidehof
Was reizt Sie am Tollensesee?
Als Kanute und ehemaliger Leistungssportler beim Sportclub Neubrandenburg hatte ich mein Trainingsgebiet direkt vor der Haustür. Ideal ist der See auch für Taucher und Radler. Er ist mit bis zu 31 Metern stellenweise recht tief und daher sehr klar. Um ihn herum führt ein 39 Kilometer langer Radweg durch vielerorts unverbaute Uferlandschaften.
Was gibt es am Tollensesee außer Natur pur? Hier am Ufer die Ruine einer ehemaligen Johanniter-Komturei aus dem 14. Jahrhundert. Am Westufer gegenüber liegt das Dorf Alt Rehse, von 1935 bis 1943 Sitz der Führerschule der deutschen Ärzteschaft. 1995 wurde es zum drittschönsten Dorf Deutschlands gekürt. Mitten im See ließ die Kriegsmarine 1942 eine künstliche Insel anlegen. Zu Testzwecken, um Über- und Unterwassertorpedos abzuschießen. Bei Kriegsende wurde die Anlage geflutet, später gesprengt.
Gibt es noch Überreste?
Die finden sich unter Wasser, weshalb der Tollensesee ein spannendes Tauchgebiet ist. Mit guter Sicht und beeindruckenden Spots. Man kann ein Schiffswrack sehen, Zielplattformen, die Trümmer der Torpedoversuchsanstalt.
Ort: Beschaulich geht es am Kummerower See zu. Auf dem Campingplatz von Kummerow gleich neben dem neu erbauten Hafen stehen zwei Caravans - ansonsten ist hier nichts los. "Die Heiden von Kummerow" aus dem Roman von Ehm Welk , der für so manchen Touristen Ausflugsanlass ist, trieben anderswo ihren Schabernack: Schauplatz der Geschichte ist der Geburtsort des Schriftstellers, Biesenbrow, heute ein Ortsteil von Angermünde. Ein besonderer Blickfang des echten Kummerow ist das gleichnamige Schloss.
Treffen mit: Bernd Wenzel, Bauleiter auf Schloss Kummerow
Seit wann gibt es das Schloss?
Schloss Kummerow ist ein barockes Herrenhaus, das 1730 für den preußischen Landrat Axel Albrecht von Maltzahn erbaut wurde.
Und was machen Sie hier?
Viele Schlösser der Umgebung wurden zu Tode saniert. Wir versuchen, die 300-jährigen Geschichte des Hauses sichtbar zu machen, indem wir alte Anstriche und Fußböden freilegen. Wir restaurieren nur dort, wo Schwamm und Nässe die Basis unwiederbringlich zerstört haben. Überbleibsel verschiedener Epochen - auch der DDR-Zeit - belassen wir so, wie sie sind.
Was beherbergte das Kummerower Schloss zu DDR-Zeiten? Meine Grundschule. Ich habe hier von 1962 bis 1970 die Schulbank gedrückt.
Jetzt leiten Sie die Sanierung. Der Job Ihres Lebens? Absolut. Nach der Wende gab es Eigentümer, die sich teilweise nicht einmal um die Notsicherung gekümmert haben. Mit Torsten Kunert gibt es nun einen Investor, der auch ein Stück meiner Vergangenheit zurückholt. Im Schloss wird es Ausstellungen geben, ein Café, ein Jungendzentrum. Aktuell zeigen wir Werke aus der Privatsammlung von Herrn Kunert. Ganz sicher wird das restaurierte Schloss den Ort auch interessanter für Touristen machen.
Ort: Über die Westpeene ist der Kummerower See mit dem Malchiner See verbunden. An dessen Ufer liegt der Ort Bülow. Auf einer Schautafel in der Kirche erfahren Besucher, dass im hiesigen Gutshaus Mitglieder der Adelsgeschlechter Moltke und Bülow gelebt haben sollen. Es ist Sonntagnachmittag, Zeit für einen Besuch im Pfarrhaus, bei Kaffee und Kuchen.
Treffen mit: Johannes Holmer, seit 1983 Pastor in Bülow
Wie lebt es sich in Bülow?
Schöner und lebensfroher als irgendwo sonst, wenn man Arbeit hat. Ich betreue fünf Kirchengemeinden. Ab September acht. Die hiesige Kirche geht auf das Jahr 1236 zurück. Im Nachbarort Bristow steht die erste evangelische Dorfkirche Deutschlands mit dem einzigen in Europa noch erhaltenen Renaissance-Altar. Durch Bülow selbst kommen viele Fahrradtouristen. Auch deshalb lege ich Wert darauf, dass die Kirche stets offen ist.
Herr Holmer, was ist das Besondere am Malchiner See? Bei einer mittleren Tiefe von nur zwei Metern friert er schnell zu und ist daher ideal zum Schlittschuhlaufen und Eissegeln. Er ist zwar etwas naturtrüb, aber dennoch sehr sauber. Zu DDR-Zeiten war das anders. In der Umgebung wurden Schweinemastanlagen betrieben. Der See war biologisch am Kippen. Nach der Wende hörte das zum Glück auf.
Ein Wort zu den berühmten Bewohnern des Ortes? Leider habe ich keine gesicherten Informationen. Nur so viel: In unserer Kirche gibt es eine Gruft mit sechs Särgen, in denen Familienmitglieder der Moltkes ruhen sollen. Erstaunlich gut erhalten, auch das Innenleben. Mittlerweile sind die Särge aber eingemauert und damit unzugänglich.
Ort: Der Krakower See empfängt mit Sonnenschein. Nur am Horizont sind dunkle Wolken auszumachen. Über Ort und See wacht der Jörnberg mit seinem 28 Meter hohen Aussichtsturm. Zur Besucherplattform führen 126 Stufen. Nach ausgiebiger Besteigung geht es zurück zum Bootsanleger.
Treffen mit: Norbert Päßler, Kapitän des Ausflugsschiffs "Lena Manuela"
Warum sollte man zum Krakower See kommen? Der See ist naturbelassen und hat 21 Inseln und Halbinseln. Vom Aussichtsturm hat man darauf einen wundervollen Blick. Für Radler gibt es einen 35 Kilometer langen Rundweg. Hier ist Urlaub noch Urlaub, das sagen jedenfalls viele meiner Gäste.
Kann man am Krakower See auch Tiere beobachten? Mit etwas Glück Kormorane, Seeadler, Fischadler, Fischotter und Waschbären.
Warum mögen Sie den See? Als Kapitän ist er natürlich mein Arbeitsplatz. Da er ein geschlossenes Gewässer ist, das nicht zum Bundesschifffahrtsstraßensystem gehört, gibt es hier keinen Durchgangsverkehr wie an der Müritz. Man leiht sich ein Boot, nimmt einen Picknickkorb mit und ist nach wenigen Metern allein in der Natur. Kein Stress, keine Hektik.
Ort: Zum Dobbertiner See führt eine Stichstraße. Direkt vor dem See ragt eine backsteinerne Kirche in den Himmel. Drumherum diverse Gebäude. Das heute denkmalgeschützte Kloster Dobbertin zählte einst zu den größten und reichsten Nonnenklöstern des Benediktinerordens in Mecklenburg. Nach seiner Auflösung 1572 wurde es Landeskloster und über 370 Jahre als evangelisches Damenstift genutzt.
Treffen mit: Lisa Möller, die im hiesigen Klosterladen arbeitet
Was können Sie uns über die jüngere Geschichte des Klosters erzählen? In aller Kürze? Die Geschichte des adligen Damenstifts endete 1962. Danach wurde die Anlage zur Unterbringung von geistig Behinderten und psychisch Kranken genutzt.
Und heute? Bietet das Anwesen eine Heimstätte für Menschen mit Behinderungen. Gleichzeitig ist das weitläufige Areal mit Brauhaus und Klosterladen frei begehbar. Lediglich für die Besichtigung der Klosterkirche nehmen wir einen kleinen Obolus.
Welche Beziehung haben Sie zu diesem See? Ich bin zwar am Nachbarsee aufgewachsen. Aber der Dobbertiner See ist viel schöner, vor allem romantischer. Hier zu arbeiten, ist wirklich toll. Manchmal verbringe ich auch die Abendstunden am Seeufer.
Was gefällt Ihnen denn ganz genau hier? Der See hat viele einsame Buchten. Nicht weit von hier fährt regelmäßig ein Ausflugsdampfer. Es gibt einen sehenswerten Pfad mit Holzskulpturen. Und einen Campingplatz, von dem aus man die Kreuze der Klosterkirche in der Abendsonne funkeln sehen kann.
Ort: Der Zugang zum Sternberger See am gleichnamigen Ort erschließt sich nicht sofort. Erst nach einer Annäherung in konzentrischen Kreisen ist der Parkplatz erreicht. Einige Meter weiter liegt eine Badestelle, darauf der Seepavillon mit herrlichem Blick auf den See. Dahinter ein Adventure Camp.
Treffen mit: Mathias Brockmüller, gelernter Gastronom und Betreiber beider Locations
Warum haben Sie den Sternberger See für Ihr Unternehmen gewählt? Bis 2010 habe ich meine Brötchen in Deutschlands Süden verdient, hatte dann aber die Nase voll und kam zurück. Sternberg hat eine wundervolle, vor allem hochwertig restaurierte Altstadt. Den Pavillon am See gab es bereits in den Sechzigerjahren. Meine Großeltern arbeiteten seinerzeit hier. Ich habe das als Chance gesehen, den Ort neu zu beleben.
Klein, aber oho ist Ihr Lokal, wie es scheint? Genau. Wir setzen auf Selbstgemachtes. Ob Kuchen oder Schnitzel. Jeden Tag wird frisch geliefert, gebacken und gekocht.
Welche Art Abenteuer bietet das Adventure-Camp? Der Sternberger See ist mit vier weiteren See verbunden. Unser Camp ist Rastplatz für Wasserwanderer. Wir bieten ganzjährig Stellplätze für Dauercamper, Übernachtungs- und Grillplätze für Schulklassen. Und wir vermieten Boote. Am gegenüberliegenden Ufer befindet sich die Einfahrt in die Warnow. Von dort erreicht man den Alten Strom in Warnemünde. Wenn das kein Abenteuer ist...
Ort: Hohen Viecheln am Nordufer des Schweriner Sees. Neben dem Kiosk der Fischerei Prignitz wird ein Aal küchenfertig gemacht. Ein Paar schaut interessiert zu. Eben noch schwamm der kräftige Bursche durch kühles Nass. Heute Abend wird er sich wohl neben knusprigen Bratkartoffeln aalen.
Treffen mit: Christopher Prignitz, 25 Jahre alt
Sie sind Nachfahre jenes Cord Prignitz'... der dem Landesherrn 1713 in schwieriger Lage Unterschlupf bot und zum Dank am Nordufer des Sees ein Erbpachtrecht erhielt. Die Urkunde aus dem 18. Jahrhundert gilt bis heute - solange eben, wie ein Prignitz die Fischerei führt. Mein Vater und ich sind die zehnte und elfte Generation.
Wie läuft das Fischerei-Geschäft? Bis zur Wende konnten wir etwa drei Tonnen Aal pro Jahr fischen - heute sind es nur noch zehn Prozent davon.
Woran liegt das? Allein am Schweriner See gibt es 3000 Kormoran-Brutpaare. Jedes einzelne Tier frisst durchschnittlich 500 Gramm Fisch pro Tag. Da bleibt für den Fischer nicht viel übrig.
Wie überlebt man als Fischereibetrieb? Wir setzen auf Tourismus und vermieten Ferienwohnungen. Unser Motto: Ferien auf dem Fischerhof. Wer will, bekommt eine Angelkarte und kann ein Boot ausleihen. Oder mit uns zum Fischfang hinausfahren. Gerade bei Kindern kommt das sehr gut an. Und natürlich gibt es bei uns immer frischen Fisch. Nix aus dem Eisfach.
Ort: Vor einem Häuschen in Klocksdorf am Röggeliner See stehen plaudernd Charlotte und Gisela. Charlotte hält blühende Topfpflanzen im Arm und empfiehlt uns Giselas Nachbarn als kompetenten Gesprächspartner.
Treffen mit: Burkhard Michaelis, Vorsitzender des hiesigen Anglervereins und Mitglied des Vereins Aktiv für Klocksdorf
Was müssen wir über Klocksdorf wissen? Klocksdorf hat circa 120 Einwohner, und das sind zunehmend Familien mit Kindern. Wir vermieten Ferienwohnungen und -häuser. Wer hierher kommt, sucht Ruhe und Abgeschiedenheit. Es gibt eine Badestelle mit Sprungturm und Pontonbrücke, die wir als Verein hergerichtet haben und regelmäßig warten. Ansonsten ist der See ein Paradies für Naturliebhaber und Angler. Es gibt Braxen, Schleie, Aale, Karpfen, Hecht und Plötzen. Einem Heer von Kormoranen ist das ebenfalls bekannt. 625 Nester wurden gezählt.
Sie selbst haben viele Jahre in Jena verbracht. Warum kamen Sie zurück nach Klocksdorf?
Das ist eine Frage der Lebensphasen. Ich habe in Jena studiert und gearbeitet. Zurück kam ich, weil ich als passionierter Angler den See und die unberührte Natur vor der Tür zu schätzen weiß.
Verkaufen Sie Ihren Fang? Ich bin Angler, kein Fischer. Das ist nicht erlaubt und ginge mir auch entschieden gegen die Anglerehre.
Ort: Zum Abschluss unserer Tour erreichen wir den Schaalsee, der an einigen Stellen bis zu 72 Meter tief ist. Quer über den See verlief früher die innerdeutsche Grenze. In Groß Zecher, das zwischen Schaalsee und Küchensee liegt, betreibt Hannelore von Witzendorff einen Gutshof, auf dem die Familie wohnt und gleichzeitig Gäste beherbergt. Auf der Karte des Restaurants Zur Kutscherscheune stehen Moorschnuckenwürstchen, Wildschweinburger und Edelmaräne. Die Gutsherrin ist unterwegs.
Treffen mit: Belinda Hammling, Kellnerin in der Kutscherscheune
Wie arbeitet es sich am Schaalsee? Offensichtlich habe ich den tollsten Arbeitsplatz der Welt. Das finden zumindest viele Besucher. Im Alltag nimmt man die Schönheit des Sees oft nicht so wahr.
Was bitte schön sind Moorschnucken? Das sind Schafe, die im Moor weiden.
Und gibt es noch etwas Spannendes vom Schaalsee zu erzählen? Gut Groß Zecher befindet sich seit 1681 im Besitz der Familie von Witzendorff. Nicht weit von hier soll der Teufel seine Großmutter erschlagen haben, heißt es. Dort befindet sich die Teufelsbrücke nebst einiger rot gefärbter Steine.