Überraschungshalbfinalist in der Champions League
Ajax Atemberaubend
Natürlich hat der Hype um die TV-Serie "Game of Thrones" auch den Fußball erfasst. Und so montierte die italienische Sportzeitung "Gazetta dello Sport" am Dienstag kurzerhand Juventus-Superstar Cristiano Ronaldo auf den eisernen Thron. Ein interessantes Titelbild, wenn man bedenkt, dass der abendliche Gegner im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League bereits zuvor die Königlichen von Real Madrid entthront hatte.
Tatsächlich sollte sich an diesem Abend in Turin auch die Frage beantworten, ob der Hype berechtigt ist, der im Laufe der Champions League um eben jene Fußballer aus Amsterdam entstanden ist. Würde Ajax nach Titelverteidiger Real auch die abgeklärte alte Dame Juventus aus dem Wettbewerb der Könige werfen? Oder würde eben doch der "calcio cinico", der sogenannte zynische Fußball des italienischen Rekordmeisters, wieder einmal triumphieren?
Die Antwort war sogar noch eindeutiger, als es der 2:1-Auswärtserfolg von Ajax vermuten lässt. Wie in Madrid machte Ajax auch mit der bis dato besten Defensive des Wettbewerbs, was es wollte. Zwar ging das anfangs dominante Juventus durch ein Kopfballtor von Thronwächter Ronaldo in Führung (28. Minute). Doch wie schon im Hinspiel (1:1) ließ sich Ajax davon nicht schrecken - und glich wenig später durch Donny van de Beek aus (34.).
"Wir haben uns auf unser Spiel verlassen", sagte Ajax-Routinier Lasse Schöne dazu nach dem Halbfinal-Einzug dem SPIEGEL: "Auch nach dem Rückstand haben wir weiter Fußball gespielt." Niederländischer Totaalvoetbal eben, vor mehr als 100 Jahren bei Ajax ersonnen: Dann kassiert man halt mal ein Tor, man muss ja nur mehr schießen, die Null hinten ist egal. Schöne nannte es kurz "unsere Art", als er Frank Sinatra paraphrasierte: "We did it our way."
So folgte die zweite Hälfte einem aus Sicht der rund 40.000 Juve-Fans erschreckenden Muster: Juventus verschenkte fast jede Angriffsmöglichkeit, Ajax zeigte im Gegenzug, wie es gehen kann, die Gastgeber dieses Spektakels konnten den sehenswerten Ballstafetten nur noch hinterherlaufen. Den Amsterdamsche Football Club (AFC) Ajax sollte man schleunigst umbenennen in Adembenemend Football Club Ajax. Ajax Atemberaubend.
"Für Topteams wie Juventus ist es, glaube ich, nicht normal, dass sie zu Hause so unter Druck gesetzt werden", sagte Mittelfeldmann Schöne: "In der zweiten Hälfte hätten wir noch mehr Tore machen können. Sie hatten nicht mehr viele Chancen. Klar, Ecken und hohe Bälle ins Zentrum, da sind sie gefährlich, aber sonst hatten sie nicht viel Chancen." Für die Entscheidung sorgte Amsterdams 19 Jahre alter Kapitän Matthijs de Ligt per Kopf (67.)
Schönes Aussagen über "einen der Topklubs der Welt" wirkten nicht arrogant. Er klang vielmehr, wie jemand klingen sollte, der mit seinem Team couragiert Real und Juve jeweils auswärts aus der Königsklasse geschossen und dem eigenen Klub das erste Champions-League-Halbfinale seit 1997 beschert hat. Ob Manchester City und Tottenham, die möglichen Halbfinal-Gegner für Ajax, dieses Spektakel wohl gesehen und sich gedacht haben: Mist, gegen die müssen wir als nächstes? "Wer weiß", sagte Schöne und lachte. "Wir sind aber zumindest nicht mehr der einfachere von zwei Gegnern."
Für Juventus, den Finalisten von 2015 und 2017, ist die Saison dagegen gelaufen. Dabei hatte man es sich alles so schön erträumt, als im vergangenen Sommer Ronaldo verpflichtet wurde: So würde es gelingen mit dem ersten Titel in der Champions League seit 23 Jahren. Die Euphorie kannte keine Grenzen, nicht im Piemont, nicht im Rest des Landes, das just in jenen Tagen versuchte, die WM zu ignorieren, für die sich die stolze Fußballnation erstmals seit 60 Jahren nicht qualifiziert hatte. Das würde der Portugiese zwar nicht ändern können. Doch die Lichtgestalt würde auch dem angestaubten italienischen Ligabetrieb wieder Glanz verschaffen.
Ronaldo ist nicht genug
Ja, gut, es hatte dann ganze vier (!) Spiele gedauert, bis Ronaldo in dieser Liga erstmals traf. Und ja, ok, das mit der Roten Karte in seinem Champions-League-Debüt war auch nicht so toll. Aber dann war da dieses Achtelfinale gegen Atlético Madrid. Ronaldos drei Tore im Rückspiel schienen plötzlich jeden Euro der mutmaßlichen 30 Millionen Euro Jahresgehalt wert gewesen. Diese drei Treffer wirkten wie ein Versprechen: Wenn es eng wird, könnt ihr euch auf mich verlassen! Nach dem Schlusspfiff gegen Ajax war Ronaldo dann schneller in den Katakomben verschwunden, als man in der Redaktion der italienischen Tageszeitung "La Stampa" "Non basta Ronaldo" in die Titelzeile tippen konnte: Ronaldo ist nicht genug. Erstmals seit 2010 steht er nicht im Halbfinale der Königsklasse.
Und nun?
Nach dem ebenfalls blamablen Viertelfinal-Aus im Ligapokal in Bergamo bleibt Juventus nur noch die Meisterschaft. Dieser achte Titel in Folge war jedoch im Grunde bereits vor Saisonbeginn abgemachte Sache - wenn auch später als in der allgemeinen Ronaldo-Ekstase ursprünglich erwartet. Dabei wird Juventus vermutlich erneut Vereins- und Ligarekorde brechen. Aber für Bestmarken in der Liga hatten sie Ronaldo nicht geholt.
Juventus - Ajax Amsterdam 1:2 (1:1)
1:0 Ronaldo (28.)
1:1 van de Beek (33.)
1:2 de Ligt (67.)
Juventus: Szczesny - de Sciglio (64. Joao Cancelo), Rugani, Bonucci, Alex Sandro - Can, Pjanic, Matuidi - Bernadeschi (80. Betancur), Dybala (46. Kean), C. Ronaldo
Ajax Amsterdam: Onana - Veltman, de Ligt, Blind, Mazraoui (11. Sinkgraven, 82. Magallán) - Schöne, de Jong - Ziyech (88. Huntelaar), van de Beek, David Neres - Tadic
Schiedsrichter: Clement Turpin
Gelbe Karten: Can, Ronaldo / -
Zuschauer: 41.445
Wir haben das Jahr, in dem Ronaldo letztmals nicht im Halbfinale der Königsklasse stand, korrigiert.