Pokalfinale Leipzig-Bayern
Für wen soll man nur sein?
Was tun?
Heute Abend wird der DFB-Pokalsieger ermittelt, normalerweise ist das ein großes Fest. Mit klaren Fronten. Außenseiter gegen Favorit. David gegen Goliath. Gut gegen Böse. Sympathikus gegen Parasympathikus. Sich zu entscheiden, ist meist leicht. Und sich für eine Seite zu entscheiden - das gehört beim Fußball unverrückbar dazu.
Heute jedoch wird es ein schwerer Abend. Heute stehen sich RB Leipzig und der FC Bayern München gegenüber (20 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ARD).
Seit Wochen geben die Fans, die nicht fest einem der beiden Klubs zugeordnet sind, Wasserstandsmeldungen bei Twitter ab, gegen welches der beiden Teams sie mehr sind. Demonstrativ werden demnach Grillfeste organisiert, die gleichzeitig zum Endspiel stattfinden, vorrangig an Orten, an denen kein Fernseh- und Netzempfang gewährleistet ist. Nur um dieses Spiel nicht sehen zu können oder zu müssen.
Den vollmundigen Ankündigungen in den sozialen Medien nach dürfte am Abend eine fürchterliche Grillwolke über Deutschland liegen, die isländischen Verhältnissen nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull gefährlich nahekommen dürfte.
Die "Zeit" hat im Vorfeld des Endspiels ein Interview mit einem Leipziger (!) Arzt über Pest und Cholera geführt, der Mediziner stellt zu den Krankheiten fest: "Man fühlt sich bei beiden hundsbeschissen und sterbenskrank."
Das klingt nicht gut. Aber was ist mit all denen, die am Abend trotzdem Fußball gucken wollen, weil es eben das Pokalfinale ist, die große Feier des deutschen Fußballs - und weil sie vielleicht vegan leben und deswegen keine Grillwurst essen?
Die Biosphäre 2 des Fußballs
Sollen sie für RB Leipzig sein, den Homunkulus des Fußballs von Red Bulls Gnaden? Die Biosphäre 2 des Fußballs, die Sachsenklinik mit ihren aseptischen Laborbedingungen? Für Leipzig, wo des Fußballs Klassenprimus Ralf Rangnick regiert?
Niemand mag Neureiche. Und niemand mag Besserwisser. Erst recht mag niemand neureiche Besserwisser.
Für Leipzig? Dort, wo sie so tun, als würden sie dieses Pokalendspiel für Ostdeutschland bestreiten - also für die Fans von Dynamo Dresden, den 1. FC Union, Hansa Rostock und den 1. FC Magdeburg. Wo sich RB-Vorstandschef Oliver Mintzlaff aus Bonn, West-Westdeutschland, bei einer Veranstaltung der "Bild"-Zeitung am Freitag hinstellt und sagt: "Wir haben recherchiert: 1941 hat der Dresdner SC das letzte Mal den Pokal für den Osten gewonnen. Wir wollen den Pokal gern für den Osten gewinnen." 1941, ja, das ist wirklich lange her, zum Glück, möchte man anfügen. Dennoch gab es in der Zwischenzeit doch den einen oder anderen ostdeutschen Pokalsieger. Das müsste man mal recherchieren.
"Und nächstes Jahr gewinnen wir die Champions League"
Also doch lieber für die Bayern. Die Bayern? Bei ebenjener Veranstaltung der "Bild"-Zeitung taucht auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer auf, laut Deutscher Presseagentur war er "mit Helm und E-Scooter gekommen und ließ vor den Journalisten einen Ball auf dem Finger rotieren". Anschließend teilte er mit: "Leipzig hat keine Chance. Wir werden das Double machen. Und nächstes Jahr gewinnen wir die Champions League." Gut, Serge Gnabry und Joshua Kimmich können nichts für einen solchen Fan. Trotzdem.
Die Bayern? Die mit Uli Hoeneß, mit Karl-Heinz Rummenigge, mit Brazzo, dem Zauberlehrling - nein, wirklich nicht. Nie, nie, niemals, nie.
In einem berühmten Roman von Joseph Heller gibt es die Catch22-Regel, die grob gesprochen ungefähr besagt: Wie man es macht, macht man es verkehrt. Es gibt keinen Ausweg. Leipzig gegen Bayern, das ist die Catch22-Situation des Fußballs. Und aller Voraussicht nach wird es zu allem Überfluss auch noch ein sportlich total attraktives Fußballspiel. Es ist zum Verzweifeln.
Es gibt hier wahrscheinlich nur eine einzige Lösung, den Königsweg derer, die normalerweise nichts vom Fußball kennen, es ist die Beschwichtigungsformel der Unwissenden, der Satz, der jeglichem Fansein widerspricht. Er lautet: Der Bessere soll gewinnen. Hüstel.