Football-Leaks-Whistleblower Pinto vor Gericht
Ausgeliefert
Rui Pinto schaute regungslos nach vorne. Erst nach einigen Minuten begann er ganz langsam, seinen Kopf zu schütteln. Die Nachricht, die ihn erreichte, schien den jungen Portugiesen mitzunehmen. Nur wenige Meter vor Pinto saß Richterin Judit Csiszar. Sie verlas ihre Entscheidung ruhig und klar: Pinto soll demnach nach Portugal ausgeliefert werden, auch all seine Daten würden den portugiesischen Behörden ausgehändigt. Pinto wird vorgeworfen, dass er sich im Herbst 2015 "unrechtmäßigen Zugang zu Informationen" verschafft und anschließend versucht haben soll, eine Sportagentur zu erpressen. Pinto bestreitet das.
Das Urteil ist für Pinto und seine Anwälte die größtmögliche Niederlage. Sie hatten sich wochenlang auf diese Anhörung vorbereitet, ihre Verteidigungsstrategie beruhte vornehmlich auf Pintos besonderem Status als Whistleblower. Pinto, das ist der Mann hinter den Football Leaks. Er übergab dem SPIEGEL in den vergangenen Jahren über 70 Millionen Dokumente. Das Nachrichtenmagazin teilte die Daten mit dem Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations. Auf Grundlage der Daten sind europaweit über 800 Enthüllungsgeschichten erschienen. Sie führten zu zahlreichen Ermittlungsverfahren und strafrechtlichen Urteilen.
Nachdem Pinto Mitte Januar in Budapest festgenommen wurde, eröffnete er der Öffentlichkeit erstmals, dass er seit mehreren Monaten nicht nur als Whistleblower für Medien tätig war, sondern auch mit den französischen Ermittlungsbehörden zusammenarbeite. Die französischen Ermittler boten ihm ein Zeugenschutzprogramm an und wollten mit seinen Daten weitere Strafverfolgungen im Bereich der Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Korruption und Untreue einleiten. Die Verhaftung Pintos setzte diesen Plan nun zunächst aus. Mittlerweile haben die Franzosen aber ein Eurojust-Verfahren eingeleitet und prüfen dort die bislang von Pinto erhaltenen rund zwölf Millionen Dateien. Neun weitere Länder haben ebenfalls ihr Interesse bekundet, an den Daten zu arbeiten.
Football Leaks bei SPIEGEL+
Darauf basierte auch Pintos Verteidigungsstrategie. Am Dienstagmorgen ergriff der junge Portugiese nun erstmals im Gerichtssaal das Wort. Er erklärte, dass er die Football Leaks zum Gemeinwohl initiiert habe, dass er viele illegale Vorgänge im Fußball-Business offenlegen wollte. Er bat eindringlich darum, nicht nach Portugal ausgeliefert zu werden, weil er die Sorge habe, "dort kein faires Verfahren zu bekommen". Pinto glaubt, der portugiesische Fußball sei zu tief in die politischen und juristischen Ebenen des Landes verstrickt.
Er schloss seinen Vortrag, der von einem Übersetzer aus dem Portugiesischen ins Ungarische übersetzt wurde, mit den Worten, dass "die Entscheidung über eine Auslieferung auch eine Entscheidung über Leben und Tod" sei. Pinto hat Angst, in einem Lissaboner Gefängnis von Benfica-Fans angegriffen zu werden. Er habe in den vergangenen Monaten per Mail zahlreiche Morddrohungen erhalten. In Portugal wird ihm vorgeworfen, dass er Benfica gehackt habe und der Klub sich deshalb nun zahlreichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt sieht. Pinto bestreitet, ein Hacker zu sein.
In dem kleinen Gerichtssaal in Budapest, der voller Kameras und Journalisten war, ergriff nach Pinto sein ungarischer Anwalt David Deak das Wort. Er trug mehrere Punkte vor, die aus seiner Sicht gegen eine Auslieferung sprächen. Dabei ging es auch um einen möglicherweise entscheidenden Verfahrensfehler, der im Berufungsverfahren noch eine Rolle spielen könnte. Denn portugiesische Behörden hätten einen europäischen Haftbefehl erwirkt, ohne dass ein nationaler Haftbefehl gegen Pinto existiert habe. Zumindest ist dieser im europäischen Haftbefehl nicht aufgeführt, was einen Verstoß gegen die allgemeinen europäischen Regeln bei der Ausstellung solcher Anträge bedeuten würde.
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Die Richterin hörte sich die Argumente an und zog sich anschließend für etwa 45 Minuten zur Beratung zurück. Sie kam in dieser Zeit offenbar zu einem simplen Fazit: Ob Pinto ein Whistleblower sei oder nicht, spiele für das ungarische Gericht keine Rolle. Die vermeintlichen Straftaten aus dem europäischen Haftbefehl resultieren allesamt aus dem Jahr 2015, rund ein halbes Jahr bevor Pinto seine Daten an Journalisten weitergab. Deshalb könne sie für diesen Zeitraum nicht über den besonderen Whistleblower-Schutz urteilen.
Pintos Daten (in seiner Budapester Wohnung wurden zahlreiche Festplatten, Handys und ein Computer konfisziert) sollen nun ebenfalls an die portugiesischen Ermittler übergeben werden. Da mutmaßlich illegal erlangte Daten vor portugiesischen Gerichten nicht als Beweismittel eingesetzt werden dürfen - anders als in Deutschland oder Frankreich - äußerten bereits im Vorfeld der Anhörung mehrere Ermittler die Sorge, dass Pintos Daten in Portugal zerstört werden würden. Dadurch würden zahlreiche Ermittlungsverfahren zum Erliegen kommen. Den von Pintos Anwaltsseite geäußerten möglichen Verfahrensfehler konnte die Richterin nicht erkennen.
Pinto und sein Anwaltsteam werden Berufung gegen dieses Urteil einlegen. Bis zur endgültigen Entscheidung muss der Whistleblower in ungarischer Untersuchungshaft bleiben.