Super-Bowl-Spieler Edelman
Das Kampf-Knäuel
Julian Edelman sah nicht aus wie jemand, der gerade Meister geworden war. Und auch nicht, als würde er Lust auf die Party haben, die sich in diesem Moment um ihn herum abspielte. Von der Hallendecke der Arena in Atlanta flog kiloweise Konfetti. Seine Mitspieler der New England Patriots umarmten sich und jubelten ausgelassen nach dem 13:3-Super-Bowl-Sieg gegen die Los Angeles Rams. Edelman schnaubte nur und sagte: "Eine verrückte Saison. Wahnsinn und irgendwie unwirklich. Jetzt bin ich mental und körperlich einfach nur platt."
In den Finalspielen der National Football League ist es häufig so, dass die Akteure mit der entscheidenden, der Sieg bringenden Aktion, als wertvollster Spieler (MVP) der Partie ausgezeichnet werden. Oft sind das die Quarterbacks: Tom Brady erhielt die Ehrung bereits viermal. Und Brady war maßgeblich an jenem Spielzug beteiligt, den Sony Michel im Schlussviertel mit einem Touchdown abschloss und so den Sieg sicherte.
Doch diesmal fiel die Wahl nicht auf Brady. Sie fiel auf Julian Edelman, und sie musste einfach auf den Wide Receiver fallen. Es gab keinen auf dem Kunstrasen von Atlanta, der so hart gearbeitet hat, wie das 1,78 Meter kleine Kampf-Knäuel mit der Rückennummer elf. "Ich bin so stolz auf diese Truppe, wir haben zusammengehalten, immer an uns geglaubt", sagte Edelman in seiner typischen Art. Er spricht selten über sich, stellt immer die Mannschaft in den Vordergrund.
Brady bezeichnete seinen seit Jahren zuverlässigsten Passempfänger als "unglaublichen Spieler für dieses Team". Edelman, so Brady weiter, habe sein "bestes Spiel der Saison" gemacht, "ich bin so stolz auf ihn". Vielleicht kommen die beiden auch deswegen so gut aus, weil Edelman im College selbst auf der Position des Quarterbacks spielte.
Brady bedient Edelman seit 2009. Allerdings war dieser in den ersten Jahren nicht seine erste Option. Damals hatten die Patriots unter anderem Wide Receiver wie Randy Moss und Wes Welker. Brady kannte die Laufwege von beiden genau. Edelman hingegen war einer von vielen Neuen. Und einer, für den sich Patriots erst in der siebten Runde der Draft entschieden hatten. Zehn Jahre später ist Edelman neben Brady der dienstälteste Patriot - und zum dritten Mal Meister geworden.
Gegen Los Angeles fing er zehn Pässe, erzielte mit 141 Yards von allen Profis den meisten Raumgewinn. Selbst wenn die Verteidiger bei ihm schon zugepackt hatten und es eigentlich kein Vorankommen mehr für den 32-Jährigen gab, wühlte und wuselte er immer weiter - und holte so extra Yards heraus. "Wenn diese wichtigen Spielzüge anstehen, bei denen die Bälle nur schwer zu fangen sind, ist Julian immer für uns da", sagte Trainer Bill Belichick. Vor allem beim Third Down wissen die Gegner genau, dass Brady auf ihn passen wird. Und trotzdem können sie diese Anspiele und Edelmans zuverlässiges Zugreifen nur selten verhindern.
Als die Patriots vor einem Jahr den Super Bowl von Minneapolis 33:41 gegen die Philadelphia Eagles verloren hatten, war Edelman nur Zuschauer. Er hatte sich in der Saisonvorbereitung das Kreuzband gerissen. In dieser Spielzeit fehlte er ebenfalls zu Beginn - allerdings aus einem anderen Grund.
Edelman war wegen Dopings für vier Spiele gesperrt. Ihm war die Einnahme leistungssteigernder Mittel nachgewiesen worden; um welche Substanz es ging, ist nicht bekannt. Aber es sei eine im Vergleich zu anderen Sportarten lasche Anti-Doping-Politik - im Baseball würde ein Profi für dasselbe Vergehen für die ganze Postseason gesperrt, schreibt "USA Today".
Für sein Verhalten entschuldigte sich der Profi später: "Es tut mir sehr leid. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte." Die Zeit ohne Edelman war dann jene Phase der Saison, in der den Verantwortlichen und Fans der Patriots noch mal klar wurde, wie wertvoll er für den Verein ist.
Sein früherer Teamkollege und Kumpel Danny Amendola war nach Miami gewechselt, Brandin Cooks zu den Los Angeles Rams abgegeben worden - und die Patriots-Offensive so harmlos, wie lange nicht mehr. Brady vermisste seine Lieblingsanspielstation schmerzlich und die Patriots hatten umgehend zwei der ersten drei Spiele verloren.
Als New England im Playoff-Viertelfinale gegen die Los Angeles Chargers vor einer großen Herausforderung stand und selbst die heimischen Medien eine Niederlage für durchaus denkbar hielten, begann Edelmans stärkste Saisonphase. In den drei K.-o.-Spielen gegen die Chargers, bei den Kansas City Chiefs und den L. A. Rams fing er 26 Pässe und erzielte einen Raumgewinn von 388 Yards. Ihm gelang in den drei wichtigsten Saisonpartien zwar kein Touchdown, dennoch wäre der Titelgewinn ohne Edelman wohl unmöglich gewesen.
Als er in Atlanta mit der MVP-Trophy zur Pressekonferenz kam, war ihm der Pokal fast ein wenig unangenehm. "Unsere Defensive war der Wahnsinn heute. Die haben nur drei Punkte zugelassen. Die gesamte Verteidigung sollte der MVP sein", sagte Edelman. Als er anschließend gefragt wurde, ob er den Super-Bowl-Sieg mit einem besonderen Getränk begießen wolle, wirkte Edelman ein wenig überrascht. "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich nehme ein Wasser."